Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

Thomas Mauch bei den Filmfestspielen in Simmern

Die HEIMAT EUROPA Filmfestspiele konnten am vergangenen Wochenende einen prominenten Gast begrüßen: Kameramann Thomas Mauch (85), das „Auge des Neuen Deutschen Films“1, begleitete die komplette Aufführung von HEIMAT 3 – Chronik einer Zeitenwende, und stand am späten Samstagnachmittag auch für ein Filmgespräch mit Kurator Lukas Maria Dominik zur Verfügung. Mauch hat 2003 unter der Regie von Edgar Reitz die ersten vier Filme von HEIMAT 3 gedreht.

Thomas Mauch und Edgar Reitz begegneten sich bereits Ende der 1950er Jahre bei der GBF (Gesellschaft für Bildende Filme) in München, bei der Reitz als persönlicher Assistent von Willy Zielke arbeitete, Mauch als Volontär. Mauch führte unter anderem Mitte der 1960er Jahre neben Reitz die zweite Kamera bei Abschied von Gestern und filmte Reitz‘ Debutlangfilm Mahlzeiten. Er machte sich in späteren Jahren insbesondere durch seine Arbeiten für Alexander Kluge, Werner Herzog (u. a. Aguirre und Fitzcarraldo), Werner Schroeter (Palermo oder Wolfsburg, Neapolitanische Geschwister) und Helma Sanders-Brahms (z. B. Unter dem Pflaster ist der Strand) einen Namen. HEIMAT 3 war eine seiner letzten großen Arbeiten hinter der Kamera. Thomas Mauch wurde mit zahlreichen Preisen, zuletzt dem Marburger Kamerapreis (2019) für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Mauch freute sich wieder in Simmern und mit dem ProWinzkino an dem Ort zu sein, wo vor fast 20 Jahren die Muster von HEIMAT 3 angesehen wurden. Er erinnerte sich an seine erste Begegnung mit Edgar Reitz, damals habe jener doch teils unter der Pedanterie seines Vorgesetzten Willy Zielke gelitten. Die Arbeit für die GBF war aber auch für den Anfang eine „wunderbare Spielwiese“, auf der sie beide viel gelernt haben. Nach der Zeit bei GBF hat sich Mauch wieder an Edgar Reitz gewandt, der ihn daraufhin als Kameraassistent bei seiner Arbeit für Bayer engagierte. In deren Auftrag verbrachten sie gemeinsam dreieinhalb Monate in Südamerika, wo u. a. die Kurzfilme Yucatan und Baumwolle entstanden (Edgar Reitz beschreibt diese Zeit sehr ausführlich in seiner am kommenden Montag erscheinenden Autobiographie). Die Zeit habe er sehr genossen, weil er mehr und mehr selbstständig habe arbeiten können.

Die Zusammenarbeit bei Mahlzeiten beschreibt Mauch ebenfalls als sehr autonom, Edgar Reitz habe niemals etwas Wesentliches gegen seine Vorschläge zur Bildgestaltung gesagt, die Verständigung gelang oftmals ohne Worte, und Mauch fühlte sich dementsprechend frei, was er sehr genossen habe. Die Zusammenarbeit habe auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt, aber (unausgesprochen) auch auf einem offenbaren Konsens in ästhetischen Fragen beruht. Zudem sei Edgar Reitz sehr stark mit seinen Schauspielern befasst gewesen, sodass Mauch immer neue Freiräume ausloten konnte: „Ich wurde immer frecher und machte immer kühnere Vorschläge. Und da das meistens goutiert wurde und auf fruchtbaren Boden fiel, fühlte ich mich bei Mahlzeiten zunehmend wohl.“

Damals seien er und Reitz noch per Sie gewesen, und „das hatte durchaus Vorteile. Man hat von vornherein ein höfliches Benehmen inhaliert, und das bekommt dem Film und der ganzen Atmosphäre sehr gut. Später kam natürlich das durch den Zeitgeist beförderte Du zur Sprache, und dieses Du war nicht immer nur positiv und hatte durchaus nichts mit gegenseitigem Verständnis zu tun, sondern war lediglich dem Zeitgeist geschuldet. Wenn man sich gegenüber einem Regisseur auf Sie eingestellt hat, dann war das doch ein gewisser Bruch, daran musste man sich dann wieder gewöhnen.“ Für Mauch steht dieses Thema symbolisch für den bis heute unbefriedeten Konflikt, der seit seinem Ausscheiden bei HEIMAT 3 zwischen ihm und Edgar Reitz steht. Thomas Mauch, der auch selbst mehrfach als Produzent und Regisseur arbeitete, sind aber auch die Eigenheiten der Kollegen bewusst. Augenzwinkernd bemerkt er: „Werner Herzog ist natürlich genauso kompliziert wie Edgar Reitz, nur in einem anderen Gebiet.“

Gefragt nach seinen Erinnerungen an die Dreharbeiten räumt Mauch ein, dass es Dinge gibt, „die ich besonders mag und Dinge, die ich eben nicht mag. Ich habe mich bemüht, gewisse Dinge zu betonen, die ich für wesentlich hielt. Reitz hatte ein gutes Gefühl, was die Dramaturgie anging. (…) Beispielsweise der Autounfall, den fand ich erst etwas uninteressant, weil die Autos ja nicht ineinandergekracht sind, sondern er fuhr ja auf diesen Baum zu. Ich habe praktisch genau diesen Baum mit großem Vergnügen ausgesucht, weil darauf eine größere Menge von Äpfeln hing, und ich wollte, dass diese Äpfel im Moment des Aufpralls auf dieses Auto herunterprasseln. Ich dachte, dass ich damit auch ganz im Sinne von Reitz bin, der ja sehr komplizierte Handlungsstränge dann durch ganz klare Dinge anders prononciert, und das hat ja auch alles so funktioniert, Sie haben es ja im Film gesehen.“

Zwischen Laiendarstellern und Profischauspielern hat Thomas Mauch keinen Unterschied wahrgenommen. „Ich würde sagen, die Profischauspieler waren zum großen Teil gut, sind sehr gut ausgesucht gewesen, und die Laiendarsteller waren so ausgesucht, dass ich nicht hätte sagen können, das ist jetzt ein Laie und das ist jetzt ein Profi. Die ganze Schauspielerei in den HEIMAT-Filmen war eine absolut glückliche Wahl. Das kann man nicht genug loben. Denn wenn die Schauspieler gut sind, fühlt man sich als Kameramann sicher.“

Gefragt nach seiner Motivation, Kameramann zu werden, erzählt Mauch, er habe zuerst Fotograf werden wollen, dies habe ihn dann aber gelangweilt. So beschloss er, „in Richtung Film zu gehen“. Dabei fand er die wohlwollende Unterstützung seiner Eltern, die ihm einen Kontakt zur Firma Siemens vermittelten, wo er dann in Berührung mit Industriefilmen kam, was ihn letztlich über Zwischenstationen zur GBF und Edgar Reitz führte. Später fand er heraus, dass sein Vater nicht genügend verdiente, um den vier Kindern der Familie in der damaligen Zeit, kurz nach dem Krieg, ein Studium zu ermöglichen. „Insofern habe ich meinen Vater gerettet, ohne dass ich es wusste.“

Thomas Mauch zeigt sich auch als großer Liebhaber des Schwarz-Weiß-Films. Das berühmte Cézanne-Zitat2 formuliert er in Bezug auf die Kameraarbeit um:

Solange man kein Schwarz-Weiß gefilmt hat, ist man kein Filmer.

Denn man kann nicht einfach mit Farbe anfangen, und von Schwarz-Weiß nie eine Ahnung gehabt haben. Schwarz-Weiß ist wahnsinnig wichtig, gerade die Übersetzung der Farbe in Grauwerte. (…) Gerade deshalb fand ich auch die Reitz’sche Methode, ganze Passagen in Schwarz-Weiß zu drehen und manche in Farbe, sehr schön, weil man so auf eine völlig neue Weise an die Schauspieler und die Motive herankam. Ich fand den Wechsel von Schwarz-Weiß und Farbe sehr aufregend und auch die Art wie er entschied, welche Szenen er schwarz-weiß und welche in Farbe machte, das hat mir sehr imponiert, auch wenn ich es manchmal nicht verstanden habe.

Thomas Mauch ist ein eloquenter und humorvoller Erzähler, der aus einem Erfahrungsschatz von 50 Jahren aktiver Kameraarbeit schöpfen kann, der insbesondere auch die große Zeit des Neuen Deutschen Films ebenso erlebt hat wie die Krisen der Branche seit dem Anfang der 1980er Jahre. In dieser Frage zeigt sich Mauch abgeklärt: „Die Krise hat sich vom eigentlichen Thema entfernt. Die Krise ist für sich da. Sie wird in den Fernsehanstalten am Köcheln gehalten. (…) Ich habe mit Begeisterung Abschied genommen von dieser Diskussion.“

Den Organisatoren des Festivals gebührt ein großer Dank und Glückwunsch dafür, dass sie Thomas Mauch gewinnen konnten, die Aufführung von HEIMAT 3 zu begleiten. Es war eine große Freude, einen so erfahrungsreichen Meister seines Faches erleben und befragen zu dürfen – und zu sehen, wie wohl er und seine Begleiterin Bärbel Freund sich in Simmern in der Gesellschaft des Publikums fühlten, das allerdings etwas zahlreicher hätte sein können. Aber manchmal ist ein so kleiner Kreis ja geradezu der Türöffner für vertiefende Gespräche und Eindrücke, die in einer großen Gruppe gar nicht möglich gewesen wären.

Am Tag der Abreise fuhren Thomas Mauch und Bärbel Freund von Pro-Winzkino-Chef Wolfgang Stemann noch nach Woppenroth, Gehlweiler und zum Günderrodehaus. Inzwischen sind sie wohlbehalten wieder in ihrer Heimat Berlin angekommen.


Abbildungsnachweis

  • Szenenbild Unfall aus HEIMAT 3 © ERFilm
  • alle anderen Bilder © Thomas Hönemann
Fußnoten
  1. vgl. z. B. https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-auge-des-jungen-deutschen-films-3805501.html []
  2. Solange man kein Grau gemalt hat, ist man kein Maler. []