Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

Mit den Augen der Kamera …

Zur Bedeutung der Fotografie in HEIMAT

In HEIMAT spielt die Fotografie eine bedeutende Rolle. Sie wirkt als Instrument zur Dokumentation des Erlebten und Medium des Erinnerns, und wird als solches auch als Bindeglied zwischen den einzelnen Filmen eingesetzt. Wenn Glasich zu Beginn jedes Filmes die auf dem Tisch ausgebreiteten Fotos durchblättert und kommentiert, fühlt man sich gleich wieder zu Hause. Wie beim Durchsehen eines Familienalbums auf dem Sofa im Kreise der Lieben. Eduard ist der Hausfotograf des Filmes; „und all dat hat der Eduard mit seiner Kamera fotografiert“, sagt Glasich einmal feierlich. Und Anton, der seine mit Eduards alter Holzkamera angefertigten Bilder in den 1930er Jahren in der Dunkelkammer neben der Küche selbst entwickelt und etwas später den Nachbarskindern in der Scheune Filme mit seinem (eigentlich Edgar Reitz‘1) kleinen Handkurbelprojektor vorführt, wird nach dem Krieg zum innovativen Produzenten hochwertiger Kameraobjektive.

Mithilfe der Fotografie wird auch der chronistische Anspruch der Filme betont; etwas, das auf Fotos festgehalten wird, hat doch wirklich stattgefunden, denkt man. Selbst wenn es ganz offensichtlich im Rahmen eines Spielfilms stattfindet.

Die Technik der Fotografie wird stets im Kontext der dargestellten Zeit erzählt. Dabei bewegen wir uns in Zeiten weit vor der Erfindung des Smartphones, mit dem heutzutage nach Belieben jederzeit um sich fotografiert werden kann, sondern in denen noch echter Film (oder gar vorher noch die großen Fotoplatten) belichtet wurde, der aufwändig entwickelt und dann zu Papierabzügen verarbeitet wurde. Wo also jede Aufnahme geplant und mit Bedacht angefertigt, gestaltet wurde. Anders als heute, wo im Bewusstsein, dass ein gelöschtes Bild keinen ökonomischen Verlust bedeutet, doch oftmals leichtfertig ohne große Überlegung und Aufmerksamkeit einfach „draufgehalten“ und die „Gestaltung“ des Bildes dann der Software überlassen wird. Dabei gehen ästhetisch-gestalterischen Aspekte von Fotografie mehr und mehr verloren, sind der jungen Generation kaum noch bewusst geschweige denn bedeutsam. Angefangen beispielsweise von der Wahl des Bildausschnittes bis hin zur Manipulation der Tiefenschärfe mittels der Wahl der Blende.

Edgar Reitz und Gernot Roll rei(t)zen das Thema Fotografie in HEIMAT künstlerisch noch weiter aus, indem sie punktuell ihre Filmkamera selbst als Fotoapparat einsetzen. Dadurch entstehen frappierende Szenen, in denen die Protagonisten geduldig posierend „freundlich“ direkt in die Kamera schauen – etwas, was (in beiderlei Hinsicht) in Spielfilmen ansonsten niemals zu sehen ist. Ich kann mich gut erinnern, wie diese Szenen auf mich anfangs etwas irritierend wirkten, den Fluss der Handlung durchbrachen und meine Aufmerksamkeit erregten. Am meisten bei dem Bild, auf dem Anton und Maria nach ihrem Weihnachtseinkauf in Rhaunen vor der Villa von Luzie und Eduard stehen, bevor sie hineingehen.

Die auf diese Weise entstehenden Standbilder betonen den bereits erwähnten chronistisch-dokumentarischen Anspruch der Filme auf eine besondere Art und Weise. Und sie bringen uns den Protagonisten näher, denn letztlich sind wir es, die gerade durch den Sucher der Kamera gucken, als fotografierten wir gute Freunde oder Familienmitglieder. Es entstehen dabei Bilder, die im Gedächtnis und im Herzen bleiben – so, als hätten wir tatsächlich selbst den Auslöser gedrückt.


1 Nicht nur an dieser Stelle wird die enge Verbindung der Biografien der Figuren in HEIMAT mit der von Edgar Reitz deutlich. Im Film ist tatsächlich der Handkurbelprojektor zu sehen, den Reitz selbst als Kind von seinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekam. Damit führte er, genau wie Anton, den Kindern aus dem Dorf Filmreste vor, die im örtlichen Kino abgefallen waren – exakt an der Stelle, wo heute das Kino HEIMAT steht. Der Projektor ist nebenan in der Ausstellung des Café HEIMAT zu sehen.