Die folgenden Synopsen der 11 Folgen von Edgar Reitz' HEIMAT sind an das Buch von Reinhold Rauh: Edgar Reitz - Film als Heimat, München (Heyne Filmbibliothek) 1993, S. 212-231 angelehnt und an zahlreichen Stellen von mir ergänzt und korrigiert worden. Sie wurden inzwischen in dem Handbuch Edgar Reitz: Die große Werkschau (Marburg 2018) veröffentlicht.
Die Bilder stammen aus dem Band Edgar Reitz: Heimat - Eine Chronik in Bildern, München/Luzern (Bucher-Verlag) 1985 und unterliegen dem Copyright der ERFilm. Näheres über die genannten Bücher in der Mediographie.
1. Fernweh (1919-1928)
9.
Mai 1919. Ein junger Mann im Feldmantel eilt langen Schrittes über einen
Bergrücken. Paul Simon ist zu Fuß aus der Gefangenschaft in Frankreich
zurückgekommen. Im Tal unter ihm liegt Schabbach, sein Heimatdorf. Wortlos und
ganz selbstverständlich nimmt er dort wieder seinen Platz am Tisch in der Küche
der Familie ein, bei Vater Mathias, Mutter Katharina, neben Bruder Eduard und
Schwester Pauline. Allmählich scharen sich die Nachbarn um den Heimkehrer.
Glockzieh erzählt: „In Kerbrich konnte man die letzte drei Johr den Kanonedonner
von Frankreisch here. Und da sin mer auf die Straß gegange und hann uns de
Kriesch angehert.“
Doch Paul wird nie wieder richtig in seiner Heimat
ankommen. In seinem Fernweh wird er zum Radiobastler und kann schließlich
mithilfe eines an einem Drachen befestigten Antennenkabels Radio Hilversum
empfangen.
1922. Alois Wiegands Motorrad wird in der Jauchegrube des
Wirts gefunden. Das neue Kriegerdenkmal wird bei strömenden Regen enthüllt. Und
Paul hat sich in Apollonia verliebt, eine schwarzhaarige Schönheit, die beim
Wirt als Bedienung arbeitet und von allen im Dorf nur „Zigeunerin“ geschimpft
wird. Bald hält es Apollonia in der dörflichen Enge von Schabbach nicht mehr
aus. Sie geht nach Koblenz, wo Paul sie zufällig trifft. Er erfährt von ihr,
dass sie ein Kind mit einem Franzosen hat, der sie auch heiraten möchte.
Der Doppeldecker eines amerikanischen Piloten landet auf
der Schabbacher Dorfwiese weil der Treibstoff ausgegangen ist, und Paul darf,
nachdem Eduard und seine Freunde in Bernkastel Nachschub organisiert haben, am
nächsten Tag sogar mitfliegen. Paul wendet sich in dieser Zeit immer mehr Maria
zu, der Tochter von Alois Wiegand, der stets geschäftig hinter den neuesten
technischen Errungenschaften her ist und ihn mit dem Bau eines Radios beauftragt
hat, das feierlich bei einem Familienausflug in der Burgruine Baldenau
eingeweiht wird. Paul und Maria heiraten.
1923. Pauline fährt mit Eduard nach Simmern und wird
Zeugin, wie einem separatistisch gesinnten Juden die Fensterscheiben eingeworfen
werden. Sie verliebt sich dort in den Uhrmacher Robert Kröber und heiratet ihn.
Maria bekommt ihren ersten Sohn Anton, 1924 folgt Ernst.
1927
schlägt erstmals dem Luftikus und Hobby-Fotografen Eduard die Stunde. Er glaubt,
zusammen mit Glasisch-Karl und Glockzieh im Goldbach nichts anderes als Gold
gefunden zu haben. Es handelt sich aber lediglich um Kupferoxyd, und Eduard holt
sich bei der Suche im eiskalten Bach eine lebenslange Lungenkrankheit. Noch eine
Sensation passiert, als Paul im Wald eine nackte Frauenleiche entdeckt, ohne
dass die gestrenge Polizei den Täter ausfindig machen könnte.
2. Die Mitte der Welt (1929-1933)
Maria ist immer noch auf der Suche nach ihm, als Paul
längst mit anderen Emigranten auf Ellis Island in New York angekommen ist. Zu
Hause in Schabbach sorgt derweilen eine von Paris nach Berlin reitende Französin
für Aufregung und die Erkenntnis, Schabbach liege exakt in der Mitte der Welt.
Eduard Simon ist in Berlin, wo er in der Charité wegen
seiner Lungenkrankheit behandelt wird. Eines Abends steht er verfroren vor einem
großen Mietshaus. Drei hübsche Mädchen winken ihn herein und bieten ihm an, sich
bei einem Cognac aufzuwärmen. Eduard folgt ihnen und ist über das freizügige
Verhalten der anwesenden Damen recht erstaunt. Später erzählt Eduard Lucie, der
„Chefin“ des Etablissements, dass er in der Landwirtschaftsbranche arbeite.
Lucie: „Det Land, det Land!“ Andere Gäste lesen aus der Zeitung begeistert
Auszüge aus Hitler-Reden vor. „Wir werden rücksichtslos gegen alle vorgehen, die
anderer Meinung sind als wir!“ ist dabei zu hören. Als sich Lucie und Eduard zu
einem Schäferstündchen zurückziehen, tönt es auch schon vom Brandenburger Tor
her: „Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!“.
Auch in Simmern im Hunsrück hört man im Januar 1933 die
Rufe. Im April, als Eduard zusammen mit Lucie wieder in den Hunsrück
zurückkehrt, ist endgültig eine neue Zeit angebrochen. Eduard stellt seiner
erstaunten Familie seine Braut aus den "höchsten Kreisen der Reichshauptstadt"
vor: Lucie, die noch etwas erstaunt darüber ist, wie klein im Hunsrück die
Großgrundbesitzer sind. Fortan arbeitet sie daran, zumindest aus ihrem Gemahl
etwas Größeres zu machen. Alsbald stakst Eduard mit seinen breiten,
schlenkernden Gesten in SA-Uniform durchs Dorf.
Angesichts dieses Einbruchs der großen weiten Welt in den
engen Hunsrück äußert Katharina: „Eisch hann dat Gefühl, die ganze Welt lebt auf
Pump. Enes Tages müsse mer des alles zurückzahle.“ Ihr kann man nichts
vormachen, sie bleibt zeitlebens ihren Werten und Idealen treu.
Während in Schabbach „Hitler-Wecken“ verteilt werden und
der Wiegand-Sohn Wilfried seiner Bestimmung als SS-Mann folgt, wird Katharina in
Bochum zu Besuch bei der Familie ihres Bruders Zeugin, wie ihr Neffe Fritz
aufgrund seiner kommunistischen Gesinnung von der Polizei abgeholt wird. Der
ausführende Polizist meint beschwichtigend zu seiner Ehefrau: „Ihr Mann kommt
nach Mühlheim ins Konzentrationslager. Da wird ihm der marxistische Geist
ausgetrieben. Und wenn er wiederkommt, dann erkennen Sie ihn nicht wieder. Dann
ist er frisch und klar im Kopf.“ Katharina versteht die Welt nicht mehr.
3. Weihnacht wie noch nie (1935)
Als Schabbach allmählich in das „globale Dorf“, in die
durch Rundfunk und Telefon vernetzte Welt eingemeindet wird, ist auch aus Eduard
dank Lucie etwas Großes geworden, nämlich Ortsbürgermeister von Rhaunen.
Das einäugige Hänschen, Sohn des Korbmachers, der im
kleinen Häuschen am Ortsausgang lebt und als einziger Sozialist im Ort gilt,
entdeckt in dieser Zeit seine Liebe zum Schießen. Eines Tages verfolgt er die
neu in den Ort verlegten Telefonleitungen und gelangt schließlich an ein
Konzentrationslager. Er beobachtet verständnislos auf die hageren Männer, die in
gestreiften, labberigen Uniformen schwere Lasten schleppen müssen. Ein Soldat,
der am Zaun patrouilliert, erkennt gleich, dass Hänschen mit dem einen
verbliebenen Auge der geborene Scharfschütze sei. Hänschen geht also nach Hause,
übt, wie ihm der Soldat geraten hat, und schießt mit seinem Luftgewehr der Reihe
nach die Porzellanisolatoren der Telefonleitungen ab. Als ihn der Dorfpolizist
dabei ertappt und Bürgermeister Eduard vorführt, ist der von Hänschens Talent
begeistert. Er spricht auf seinen Untergebenen mit beschwichtigenden Worten ein
(„Martin, komm, lach emol!“) und lässt sich am Ortsrand von Hänschen seine
Schießkünste vorführen. Er kann sich vor Begeisterung kaum halten, wenn wieder
eine Porzellanhalterung in tausend Einzelteile zerspringt, und
ist restlos überzeugt, dass Hänschen auf dem richtigen Weg ist - Scharfschützen
hatten 1935 beste Berufsperspektiven.
4. Reichshöhenstraße (1938)
„Der Wind hat mir ein Lied erzählt, von einem Glück,
unsagbar schön ...“. Maria und Schwägerin Pauline sehen im Simmerner Kino „La
Haberna“ mit Zarah Leander an. „Er weiß, was meinem Herzen fehlt und für wen es
schlägt und glüht.“
Zuhause singen sich Maria und Pauline nochmals die
Ohrwürmer aus dem Kino vor. Pauline gerät ins Schwärmen: „Einmal im Lebe nach
ltalien, an de Gardasee!“, und erzählt dann von der neuen Kundschaft, den
Arbeitern der Organisation Todt, die die Hunsrückhöhenstraße bauen und bei ihrem
Mann Robert, dem Uhrenmacher und Schmuckhändler, nur den teuersten Schmuck
verlangen. Totenkopfbroschen mit Rubinen sind jetzt außerordentlich gefragt.
1938
ist alles anders geworden. Auf dem sanften Höhenrücken fressen sich Stampfgeräte
und Bagger tief in das Schiefergestein hinein. Bauarbeiter und
Arbeitsdienstpflichtige aus allen Ecken des deutschen Reiches sind gekommen.
Unter ihnen ist auch der Ingenieur Otto Wohlleben. Er ist im Haus der von ihrem
Mann im Stich gelassenen Maria einquartiert worden, wo er am Abend besonders für
Ernstchen, mit dem er Segelfliegermodelle baut, ein gern gesehener Spielkamerad
und väterlicher Freund ist. Tagsüber vermisst er mit seinem Assistenten Pieritz
die Strecke der künftigen Reichshöhenstraße. Eines Tages hat er einen
Arbeitsunfall und wird von Pieritz mit geschientem rechten Arm nach Hause
gebracht. Maria sorgt sich rührend um Wohlleben und füttert ihn sogar. Otto und
Maria kommen sich sehr nah und gestehen sich beim Tanzabend schließlich ihre
Liebe. Maria hat nach langen Entbehrungen ein kleines Stück Glück gefunden, dem
auch Katharina mit Wohlgefallen zusieht.
Sohn Anton folgt in diesen Zeiten dem Vorbild seines
verschwundenen Vaters und nimmt erste Fühlung mit der modernen Technik auf. Sein
Interesse gilt optischen Geräten wie dem Filmprojektor, den er geschenkt
bekommen hat. Alle Kinder der Nachbarschaft scharen sich um ihn, wenn er in der
Scheune Wochenschaufilme über das Nürburgringrennen auf ein weißes Leintuch
projiziert.
Lucie erhält Besuch aus Berlin. Ihre ehemalige Kollegin
Martina ist gekommen und lädt auch gleich die frauenhungrigen Straßenarbeiter,
die sie auf dem Weg getroffen hat, zu „sächsischen Quarkkeulchen“ ein, was Lucie
allerdings nicht so gefällt. Sie hält die Männerkolonnen im Garten ihrer Villa
auf Distanz und mahnt Martina eindringlich, im herrschaftlichen Haus des
Bürgermeisters ihre Berufsgewohnheiten bitte zu vergessen.
Noch liegt Schabbach im tiefsten Frieden. Eduard bringt es
auf den Punkt: „Genau das ist der Moment, in dem die Zeit stehebleibe müsst
...“.
5. Auf und davon und zurück (1938-1939)
Im Kino wird „Heimat“ von Carl Froelich gezeigt. „Eine Frau
wird erst schön durch die Liebe ...“, singt Zarah Leander. Robert und Pauline,
Uhrmachergeselle Pollack und Martina, Otto Wohlleben und Maria sitzen mit
feuchten Augen vor der Leinwand. Danach versammeln sich alle in Roberts Haus in
Simmern, das nach dem Auszug des Juden im ersten Stock viel größer geworden ist.
Martina hegt Sympathien für den Uhrmachergesellen Pollack. Maria und Otto sind
immer noch im siebten Himmel, nicht ahnend, dass sie nur wenige Tage später sehr
unsanft auf den Boden der Tatsachen gerissen werden sollen.
Denn aus Amerika ist Post von Paul angekommen. Völlig
entgeistert versammelt sich die Simon-Familie am Küchentisch um den fremdartigen
Brief. Daraus geht hervor, dass Paul Inhaber der „Simon Electric Company“ in
„Detroit, Postbox, USA“ ist und plant, nach Deutschland zu Besuch zu kommen.
Maria ist mit der Situation völlig überfordert, gerade wo sie doch mit Otto so
glücklich ist meldet sich „der fremde Mann lo“ - elf Jahre nachdem er so
plötzlich und wortlos verschwunden ist. Kaum sind ein paar Tage vergangen, wird
Ingenieur Wohlleben nach Trier versetzt – auf Initiative von Maria, wie sich
später herausstellt. Dass beiden von ihrem kurzen Glück doch etwas geblieben
ist, können sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wissen: Hermännchen, ihr
gemeinsamer Sohn.
Während der andere Sohn, Ernstchen, auf der Röhn seine
ersten Segelflugversuche unternimmt, macht sich Maria mit Anton ins ferne
Hamburg auf, um Paul vom Schiff abzuholen. Doch Paul darf das Schiff nicht
verlassen, da er keinen Ariernachweis vorweisen kann. Bürgermeister Eduard und
SS-Mann Wilfried Wiegand werden eingeschaltet und versuchen im fernen Schabbach
den Nachweis für den verdächtig klingenden Namen Simon beizubringen. Viel zu
viel Zeit vergeht, und der Ozeandampfer legt mit Paul Simon an Bord wieder ab.
Am 1.9.1939 tönt aus den Volksempfängern des Deutschen
Reiches, vor denen auch auf der Röhn Ernstchen und seine Kameraden stillstehen,
mit heiserer, pathetischer Stimme: „Polen hat heute Nacht auf unserem eigenen
Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen! Seit 5 Uhr 45 wird
jetzt zurückgeschossen, und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!“ Der
Krieg hat begonnen.
6. Heimatfront (1943)
Erst resümiert Glasisch-Karl noch, als er die
Erinnerungsfotos an die vergangenen Zeiten auf den Tisch zurücklegt: „Mir habe
in Schabbach nit jede Tach gemerkt, dat jetzt Kriesch war.“ Aber dann ist eine
Wiese bei Schabbach zu sehen, auf der die Reste eines abgeschossenen englischen
Bombers verstreut liegen. „Tja, das war eine Nacht heut. Sechzehn Bomber haben
unsere Jäger heruntergeholt, die liege jetzt verstreut von Kirchberg bis rüber
nach Kastellaun“, meldet ein Polizist Wilfried Wiegand. Bürgermeister Eduard
steht daneben und zitiert sich selbst: „Die Flieger sind die wahre Helde. Die
leide nit ...".
Kurz darauf wird Wilfried Wiegand von ein paar Kindern zu
einem Ort im Wald gelotst, an dem ein schwer verletzter, vor Schmerzen
wimmernder englischer Pilot im Gebüsch liegt. Wiegand erschießt ihn kaltblütig.
Den anderen erzählt er, er habe ihn leider auf der Flucht erschießen müssen. Als
Wilfried, der jetzt das eigentliche Regiment an der Heimatfront Schabbach
übernommen hat, dann bei Katharina vorbeischaut und die ihm viel zu üppige
Verpflegung der französischen Gefangenen unter Strafe stellt, reagiert sie
empört: „Dau bist en ganz raulische Hund geworde ... das bist dau! … Was nur aus
den Kindern geworde is in dem Krieg!“
Auch für Otto Wohlleben sind die Zeiten härter geworden.
Jetzt ist er nicht mehr für Bauprojekte sondern für Bomben-Blindgänger
zuständig, die er gemeinsam mit Pieritz entschärft, wobei ihm seine Leidenschaft
für die Feinmechanik zugutekommt.
Im Haus Simon wird es allmählich eng. Nicht nur, dass es
für Maria ein neues Mutterglück gegeben hat, mittlerweile ist auch Martha aus
Hamburg in Schabbach eingetroffen. Sie ist Antons schwangere Braut. Wilfried
leitet über die ganz Europa verbindenden Telegraphendrähte die Ferntrauung der
beiden ein. Am anderen Ende gibt in einer kleinen Hütte im eisigen Russland
Anton sein Ja-Wort und wird dabei für die Wochenschau gefilmt. Aber auch an der
Heimatfront hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen. Ernst wirft aus dem
Kampfbomber im spektakulären Tiefflug über Schabbach rote Nelken für die Braut
ab.
In der Dorfkirche entdeckt Eduard die Nachricht, dass
Korbmachers Hänschen sein Leben im Krieg verloren hat. Er ist tief betroffen,
hat er doch seine Begeisterung für das Schießen gefördert.
Abends gibt es noch eine kleine Feier in Lucies und Eduards
Villa. Ein uniformiertes Streichquartett spielt Mozarts „Kleine Nachtmusik“.
Wiegand wendet sich hinter vorgehaltener Hand einem anderen Uniformierten zu:
„Die Endlösung wird radikal und gnadenlos durchgeführt. Das darf ich Ihnen gar
nicht sagen - aber unter uns, wir wissen es doch alle: Alle in den Schornstein.“
7. Die Liebe der Soldaten (1944)
Anton, Assistent einer Propagandakompanie an der Ostfront,
führt abends im Feldlager alte Ufa-Filme vor. Zarah Leander singt auf der
Leinwand des Frontkinos für die endlich einmal wieder froh gestimmten,
schunkelnden Wehrmachtssoldaten „Davon geht die Welt nicht unter, denn die wird
ja noch gebraucht!“ Später erklärt der Hauptmann der Propaganda-Kompanie den
Untergebenen seine Philosophie: „Nicht der Spielfilm, sondern die
Kriegswochenschau ist die wahre Kunst des 20. Jahrhunderts.“
Am nächsten Tag hat Anton einen anderen Auftrag. Er bringt
die Kamera in einem verschneiten Birkenwald in Position, fummelt am defekten
Objektiv herum. Vor ihm ist ein MG in Stellung gebracht worden. Weiter vorne hat
man fünf Juden, die Hände im Nacken verschränkt, vor ein Erdloch getrieben. Noch
während Anton versucht, das Objektiv in Ordnung zu bringen, zerreißt eine
MG-Salve die Stille des Waldes. Einzelne Pistolenschüsse folgen. Von den Juden
ist nichts mehr zu sehen. Als noch einmal fünf andere vor das Kameraobjektiv und
das MG getrieben werden, klappt es endlich mit der Aufnahme der Erschießung.
Der Krieg ist nun auch in den Hunsrück gekommen. Als Otto
Wohlleben nach langer Zeit Maria wiedersieht und dabei erfährt, dass er der
Vater von Hermännchen ist, vibriert die Luft vom Brummen von Hunderten von
Bombern, die auf ihrer westlichen Einflugschneise über dem Hunsrück Richtung
Rhein-Main-Gebiet sind, um dort Tausende von Phosphor- und Sprengbomben
abzuwerfen. Otto Wohlleben und Maria Simon ist eine letzte gemeinsame Nacht
gegönnt. Am nächsten Morgen erreicht auch Otto sein Schicksal beim Versuch, am
Bahnhof von Simmern eine Bombe zu entschärfen.
In einer Nacht wird die Flakstellung am Ortsrand von
Schabbach bombardiert, ein Feuerschein legt sich über das ganze Dorf. Lotti, die
von der Bochumer Verwandtschaft zu den Simons in den Hunsrück ausquartiert
wurde, verliert dabei ihre erste Liebe, den Soldaten Specht.
Wenige Tage später marschieren die Amerikaner ein. Lucie zieht sich das Dienstmädchenkleid an und weiß nicht so recht wohin mit ihren Pelzmänteln. Wilfried, der kniend und mit zum Hitlergruß ausgestrecktem Arm beginnt, die erste Strophe des Deutschlandliedes zu singen, hält sie den Mund so fest zu, dass er fast erstickt. Eduard hat seine Parteiuniform abgelegt und hüllt sich in einen schäbigen Mantel. Sohn Horstchen zieht etwas durch die Zähne, das man in Schabbach bisher nicht gekannt hat, einen Kaugummi. Und dann stehen zwei farbige amerikanische GI‘s vor dem Fenster von Eduards und Lucies Villa. Eduard lüftet ehrfürchtig seinen Hut.
8.
Der Amerikaner (1945-1947)
Berlin liegt in Schutt und Asche. Martina versucht
vergeblich, den schwer verwundeten ehemaligen Uhrmacher-Lehrling Pollack bis zur
Ankunft eines Arztes am Leben zu halten und stirbt dann selbst, weil sie in
Pollaks Uniform auf der Straße für einen Soldaten gehalten wird.
In Schabbach ist das alles schon wieder vorbei. Die
Amerikaner sind da. Nur noch der abgerissene Finger, den Hermännchen in einem
verkohlten Jeep findet, erinnert an die Kriegstage.
13.5.1946. Von der sich zum Horizont verlierenden
Zufahrtsstraße nach Schabbach geht ein breitschultriger Amerikaner mit
Cowboy-Hut ins Dorf hinein zum Simon-Haus. Sein großes Auto lässt er samt
Chauffeur in der Ortsmitte zurück. Niemand ist zu Hause. Er geht in die Schmiede
und schlägt mit dem Hammer auf den Amboss. Mutter Katharina Simon hört vom
Friedhof aus das Hämmern in der Schmiede und läuft nach Hause.
„Du
bist der Paul!“ Paul nickt. Nach seiner überraschenden Rückkehr aus Amerika gibt
Paul im Tanzsaal des Dorfes mitten in dürftigsten Nachkriegszeiten einen großen
Ball mit Speisen, Getränken und Musik aus Amerika. Ganz Schabbach ist in
Festtagsstimmung, nur Maria, die einst von Paul so kläglich verlassene, nicht.
Beide werden sich immer fremd bleiben.
Lucie hat längst ihr Hut-Fähnchen mit den „Stars and
Stripes“ nach den seit neuestem wehenden Winden gerichtet. „Seit ick weeß, was
die Amis für welche sind, Eduard ... die sind uns in allem überlejen. Det is
nicht bloß der Reichtum, det die uns besiegt haben. Det die hingehen können, wo
sie wollen und nich an diesem Hunsrück kleben bleiben!“ meint sie zu ihrem
abgehalfterten, gesundheitlich stark angeschlagenen ehemaligen NS-Bürgermeister,
der sich jetzt auf sein Hobby, die Fotografie zurückzieht. Robertchen, ihren
Sohn, trimmt sie darauf, dem zurückgekehrten Paul alle Staaten der USA
aufzusagen. Paul imponiert das sehr, und er hört Lucie dann auch sehr
verständnisvoll zu, wie sie darüber jammert, was sie und ihre Familie in den
vergangenen schlimmen Jahren zu erleiden hatten.
Plötzlich steht Klärchen, eine Freundin von Ernst, in der
Küche der Simons und bittet um eine Bleibe. Ernst selbst mit seinen
zwielichtigen Geschäften und wechselnden Liebschaften hält sich allerdings
lieber fern von zu Hause. Sein Bruder Anton marschiert durch Russland, die
Türkei, Griechenland und über die Alpen fünftausenddreihundertsiebzehn Kilometer
weit nach Hause. Im Mai 1947 kehrt er zu seiner Martha zurück. Er hat etwas
mitgebracht. Auf dem langen Weg hat er sich Dutzende von Patenten ausgedacht,
mit denen er ein Optisches Werk aufbauen und sich so an der Neuverteilung der
Welt beteiligen will. „Martha, halt zu mir, dann kommen die guten Jahre!“,
verleiht er seinem Tatendrang Ausdruck.
9. Hermännchen (1955-1956)
Hermännchen ist der einzige aus der Familie Simon, dem es
möglich war, das Gymnasium in Simmern zu besuchen. Mit seinen Schulkameraden
macht er auf einer Radtour Station bei seinem Halbbruder Ernst, der an der Mosel
seinen hochfliegenden Träumen nachgeht, indem er mit einem großen Hubschrauber
Baumstämme auf Flusskähne transportiert.
Während sich sein Projekt als völlig unrentabel erweist hat
sein Bruder Anton das große Los gezogen. Seine Patente haben ihm als Gründer und
Chef der „Optische Werke Simon OHG“ unternehmerischen Erfolg beschert.
Hermännchen ist auch dort immer gern gesehener Gast.
Nach einem großen, von Anton veranstalteten Betriebsfest
entdeckt der Fünfzehnjährige ganz neue Gefühle. Zuvor ist er zwar schon von
Schnüsschen am Ufer der Mosel in die Geheimnisse des Zungenkusses eingeweiht
worden. Jetzt bekommt er im Bett zwischen Klärchen und Lotti liegend aber noch
ganz anderes zu spüren - was zur Folge hat, dass er am nächsten Tag viel zu spät
aufwacht und den Zug zur 35 km entfernten Schule verpasst. Diese Bett-Episode
war für Lotti, die Chef-Sekretärin von Anton Simon, nur ein kleines Abenteuer,
für Hermännchen und das fast doppelt so alte Klärchen ist das anders.
Tagsüber brütet Hermännchen auf dem Sportplatz mit
Mitschülern über existenzphilosophischen Fragen und konfrontiert seine Mutter
Maria, die ihn so gerne beruflich in der Nachfolge seines Vaters Otto sähe, mit
dem Wunsch, Künstler statt Ingenieur zu werden. Nachts schwört Hermännchen bei
Vollmond Klärchen seine unsterbliche Liebe. „Mit heiligem Willen / auf ein
riesiges Blatt etwas schreiben / auf den feuchten Stellen / eine Welt aus Gängen
treiben / die Fackel zerfällt, der Wille wird matt / deine atmende Haut: ein
Land, das wartet.“ dichtet er Klärchen ins offene Herz. Ihre Liebe hat Folgen.
Klärchen erwartet ein Kind und sieht keinen anderen Ausweg als eine Abtreibung.
Anton erwehrt sich der Pestizide und Fungizide der
deutschen chemischen Industrie, die Alois und Wilfried Wiegand, jetzt
CDU-Mitglieder und Versuchsgut für die BASF, auf den Feldern um Schabbach und
die optischen Werke verteilen. Anton, der für seine optische Fertigung absolut
staubfreie Bedingungen benötigt, ist außer sich: „Die verpeste mir die die ganz
Hunsrücker Luft!“.
Für Hermann scheint es, dass das „verlogene, spießige
Pack“, gemeint ist vor allem sein Halbbruder und Klärchens Arbeitgeber Anton,
dafür gesorgt hat, dass sein Klärchen die Familie Simon verlassen hat und nach
Koblenz abgereist ist. Doch Klärchen hatte aus eigenem Willen diesen Schritt
gemacht, um Schlimmeres zu verhindern. Schließlich kommt der zum
Familienpatriarchen aufgestiegene Anton dennoch hinter Hermännchens Geheimnis,
indem er Klärchens Post an ihn liest.
Silvester schlägt Hermännchens Rachestunde gegen die
Spießer. Er nimmt Antons Mercedes und fährt damit zu Klärchen nach Boppard am
Rhein, wo sie zusammen den Jahreswechsel feiern. Zum Abschied überlässt Klärchen
ihm einen Brief von Anton, in dem ihr gerichtliche Schritte angedroht werden,
sollte sie jemals wieder Kontakt zu Hermann aufnehmen. Sie werden sich nie
wieder sehen.
An der Orgel der Schabbacher Dorfkirche verleiht er in
dissonanten Tönen seiner tiefen Trauer und Verzweiflung Ausdruck.
Hermann hält nichts mehr in der spießigen Enge des Dorfes. Mit 18 Jahren, gleich nach dem Abitur wird er es verlassen, um in München Musik zu studieren.
10.
Die stolzen Jahre (1967)
Pauline besucht die mittlerweile 67-jährige Maria und zeigt
ihr eine Zigarettenkiste ihres im Krieg gefallenen Mannes Robert. Anno 1938 hat
er Tausende jetzt wertlos gewordener Reichsmark an die Seite geschafft. Beide
hängen ihren nicht verwirklichten Träumen und Sehnsüchten nach, und überlegen,
Paul in Amerika zu besuchen. Doch die entstehende Euphorie versiegt schnell, als
Maria einfällt: „Ach neh, et geht doch nit, die Kuh!“. Zwar wird ihre Kuh
verkauft, aber Maria wird ihr Leben lang nicht verreisen. Nicht an den Gardasee,
und nicht zu Paul nach Amerika.
Die große Welt kommt aber auch so in Gestalt zweier
ausgebuffter Manager eines multinationalen Konzerns nach Schabbach, die sich bei
ihrer Irrfahrt durch die abgelegene Gegend über die Hirsche am Straßenrand
wundern und dann von Anton Simon mit einheimischen Wurstspezialitäten verköstigt
werden. Sie haben den Auftrag, die „Optische Werke Simon OHG“ für 60 Millionen
Mark aufzukaufen. Harte Konkurrenzkämpfe werden angedroht, wenn Anton Simon
nicht einwilligt.
Während Anton noch um eine Entscheidung ringt macht sich
sein Bruder Ernst daran, den Hunsrückern neumodische Türen und Fenster mit
Aluminiumrahmen aufzuschwatzen - und ihnen dafür die alten abzunehmen, die er an
Düsseldorfer Kneipen teuer als antik-rustikale Inneneinrichtung weiterverkauft.
Seine Devise für die Antiquitäten mit „dem Geruch von 1865“ ist: „Der Geruchsinn
ist der primitivste Sinn des Menschen, der am meiste mit dem Unbewusste verbunne
is. Sehe, here, fühle, dat kommt erst viel später. Und dat Denke kannste sowieso
vergesse.“
Antons Vater Paul ist gerade im nahen Baden-Baden. Anton
sucht den erfolgreichen Amerikaner auf um einen Rat zu bekommen, und wird dabei
mit der neuen Leidenschaft des inzwischen berühmt gewordenen Hermännchens
bekannt: elektronische Musik. Onkel Paul hat ihm dafür alle technische Hilfe aus
Amerika zukommen lassen. Paul rät Anton, es wie er selbst zu machen und sein
Unternehmen zu verkaufen. Aber Anton behält lieber weiter das Heft in der Hand.
Der applaudierenden Belegschaft verkündet er auf der Wiese vor dem Werk, dass er
nicht verkaufen werde: „Solang es uns gibt, hie in Schabbach, gibt es e Maßstab
auf der Welt. Und wenn die uns inkaafe, dann schaffe die den Maßstab ab.“
Sommer 1969. Hermanns erstes Rundfunkkonzert wird vom SWF
aus Baden-Baden übertragen. In der Gaststätte in Schabbach hört das ganze Dorf
mit, aber wendet sich schnell kopfschüttelnd ab. Nur Glasisch-Karl findet Zugang
zu Hermanns Musik, „Hermännchen, wo hast das nur her? So fremdländisch und so
schön …“.
Wenige Tage später kommt Hermann im Citroen in Schabbach an. Im Schlepptau hat er zwei Mädchen, die er seiner Mutter als seine beiden Freundinnen vorstellt. Maria versteht die Welt nicht mehr.
11.
Das Fest der Lebenden und der Toten (1982)
Maria ist tot. Selbst Verwandten aus dem fernen Brasilien,
die sich zufällig in Deutschland aufhalten, sind gekommen. Hermann hat dagegen
beinahe die Beerdigung seiner Mutter verpasst, hätte nicht ein Wolkenbruch dem
Trauerzug Einhalt geboten. Hermann stoppt im dichten Gewitterregen seinen
Citroen nur wenige Meter vor dem von den Trägern einfach auf der Dorfstraße
abgestellten Sarg der Mutter.
Während der Trauerfeier donnern amerikanische Jagdbomber
über den Hunsrück hinweg und die Angestellten von Ernst versuchen, das Inventar
des alten Simon-Hauses nach Verwertbarem zu durchsuchen. Anton Simon schreitet
energisch ein, vernagelt die Türen und weist Ernst zurecht. Geht Ernst eher im
Zickzack durchs Leben, so hat Anton immer den geraden, nach vorne weisenden Weg
gesucht.
Später erinnert sich Anton an die alte Wochenschauregel,
dass deutsche Soldaten im Film immer von links nach rechts zu marschieren
hatten, um den Eindruck des Vormarsches zu erzeugen. Die Zeiten sind aber auch
für Anton hart geworden, möglicherweise muss er in Zukunft selbst von rechts
nach links gehen.
Im verlassenen Simon-Haus wehen die Gardinen gespenstisch
im Fenster. Anton, Ernst und Hermann stoßen auf Gegenstände, die in ihnen
Erinnerungen an ihre Kindheit und die Mutter wachrufen.
Die Kirmes beginnt. Als zu später Stunde die Kapelle mit
den Besuchern in den Tanzsaal einziehen will, ist dieser wie von Geisterhand
verriegelt. Von außen ist nur grelles Licht im leeren Saal zu sehen. Innen steht
auf der Bühne die verstorbene Maria, mit der Bettwäsche vor dem Bauch, genau wie
damals auf der Treppe des Simon-Hauses, als sie Otto wiedersah. Es ist das Fest
der Toten. Auf der anderen Seite des Lebens tummeln sich im Stimmengewirr u. a.
Korbmachers Hänschen, die französische Reiterin, Katharina, Wilfried, Glockzieh,
Marie-Goth, Mäthes-Pat, Pauline, Robert, Lucie, Eduard, Pieritz und auch Otto
Wohlleben in für sie typischen Kleidungen und Szenen. Wiegand schwadroniert noch
einmal „Ami, go home!“, Hänschen lernt über Kimme und Korn zu zielen, und der
Dorfschullehrer dirigiert den Chor wie einst bei der Einweihung des Denkmals.
Nur der Schmied Mathias ist nicht zu sehen. „Aber Maria, weißte dat dann nit
mehr, der Opa war doch blind!“, erläutert Katharina. Glasisch-Karl wird sich im
Laufe dieser Geisterstunde auch noch zu ihnen gesellen. Und Otto und Maria
feiern still ihr lang ersehntes Wiedersehen.
Anton, Ernst und Hermann gehören zu den Lebenden außerhalb
des hell erleuchteten Festsaals. Im Lärm der Kirmes lässt sich Hermann von den
Schieferbrechern von der guten Akustik im großen Abbau direkt unter dem Dorf
erzählen, Ernst bandelt auf der Suche nach einem gemütlichen Hangar mit seiner
Jugendliebe Irene an, und Anton vergnügt sich betrunken mit zwei Provinznutten.
Martha und ihre Tochter Helga schauen sehr befremdet zu und eilen, als er mit
einem Hörsturz zusammenbricht, zur Hilfe.