Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

Geschichten aus den Hunsrückdörfern

Wer die „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ gesehen hat,
wird ein noch tieferes Verständnis für HEIMAT entwickeln können.

Szenenbild mit Gustav Molz und Peter Steinbach

Der Dokumentarfilm „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ entstand im Herbst 1980, zu einer Zeit also, als Edgar Reitz und Peter Steinbach in Woppenroth mit den Vorbereitungen zu HEIMAT beschäftigt waren. Der Film stellt eine Vorarbeit, gleichzeitig in gewisser Weise einen Gegenpol zu HEIMAT dar: Während in HEIMAT die Hauptfiguren Paul und Hermann ganz nach Reitz’schem Vorbild ihre HEIMAT verlassen und ihr Heil woanders suchen, wie es seit jeher viele Hunsrücker getan haben, so handeln die „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ von denen, die in ihrer Heimat verwurzelt geblieben sind. Diese Menschen kommen hier selbst zu Wort, dürfen von ihren Lebenserfahrungen erzählen ohne durch Interviewfragen gelenkt zu werden. Auf diese Weise gelingt es Reitz, ein unverfälschtes und authentisches Bild der Hunsrücker und ihrer Lebensweise zu zeichnen.

Im Programmheft „NEUE DEUTSCHE FILME“ der 32. Internationalen Filmfestspiele von Berlin 1982 wird zur Vorstellung des Films aus einem Brief von Edgar Reitz an Ulrich Gregor, den damaligen Festspielleiter, vom 14.1.1982 zitiert:
„Mir ist klar, daß gerade dieser Film es schwer haben wird, sich beim Publikum Aufmerksamkeit zu verschaffen …
Der Film wendet sich an Menschen, die bereit sind, sich den Bildern anzuvertrauen und in ihre Seele Ruhe einkehren zu lassen.
Inhaltlich befaßt sich der Film mit meiner Heimat und den Menschen, die ich als Junge verlassen habe, um in den Städten das Filmemachen zu erlernen. Sie werden merken, daß in dieser Heimat alle Motive vorkommen, die ich in meinem Filmen seit fast 20 Jahren behandle. Insofern ist der Film ein Schlüssel zu meinem Werk und er zeigt auch im Verhältnis zu den Bildern und den Menschen meine Einstellung zu unserem Metier. Dies ist ein Lieblingskind von mir, und ich bitte Sie, glimpflich damit umzugehen.“

das Blockhaus in Woppenroth, in dem Reitz und Steinbach damals lebten und arbeiteten

Das Filmteam entspricht in wesentlichen Teilen dem, das auch HEIMAT gestaltete: Edgar Reitz schrieb das Drehbuch, führte die Kamera und Regie, von Nikos Mamangakis stammt die Musik, außerdem: Schnitt: Heidi Handorf, Regieassistenz: Petra Kiener, Produktionsleitung: Inge Richter und Redaktion: Joachim von Mengershausen vom WDR.

Charakteristische Merkmale des Films sind die schon hier erprobte Mischung von s/w- und Farbmaterial (z. B. nahezu alle Sequenzen über die Bundenbacher Schieferbrecher sind in s/w aufgenommen) sowie die Kommentierungen von Edgar Reitz aus dem Off, die in bester Tradition der frühen Filme des Neuen Deutschen Films stehen, insbesondere derer von Reitz selbst sowie Alexander Kluge.

Seit Mai 2007 ist der Film im Rahmen der Kinowelt/Arthaus-Edition „Drehort Heimat. Chronik einer Jahrhundert-Saga“ auf DVD erhältlich, zudem in beiden Gesamteditionen (mehr dazu in den Medien/DVD).

Bildergalerie

Die Szenenfolge

Nr.Inhalt (ggf. Parallele zu HEIMAT)Endzeit (h'm's'')
1Landschaftsaufnahmen (bis 3'13''), danach Kamerafahrt durch Schneppenbach, aus dem Off: Brief des nach Brasilien ausgewanderten Hunsrückers Emil Hahn, geschrieben in Porto Allegre am 12.11.1867.4'10''
2Wirt Lamberti über das Dreikaiserbild im Gasthaus Schmidt, Herrstein.5'09''
3Bahnfahrt auf der Strecke Simmern - Morbach - Hermeskeil, Stickelscher-Erzähler Karl Windhäuser, einst Deutschlehrer und Förderer von Edgar Reitz, erzählt die Geschichte von Jungfer Kathrinchens erster Bahnfahrt.7'08''
4Chor der Schieferbrecher, traditioneller Schieferabbau in der Grube Herrenberg bei Bundenbach. (Zwischenschnitt: Frau Weckmüller pflückt Brombeeren in ihrem Garten, 8'41'' - 9'04'')10'03''
5a"Ein Haus in Selbstbauweise" wird erstellt (Fortsetzung in Szene 9).10'21''
6Herbstbilder, Apfelwiese.10'36''
7Ein Streckenkontrolleur auf der alten Bahnstrecke, Bahnfahrt durch die Wälder des Hunsrück. Karl Windhäuser erzählt das Stickelsche vom Hirsch, der durch den offenen Gepäckwagen des Zuges springt.12'24''
8Die alte Sett (Reitz: der "BKS-Schlüssel zum Dorf") stellt mit Hilfe ihrer Verwandten Rosa Müller ihre vielfältigen Verwandtschaftsverhältnisse zum Rest des Dorfes dar.15'40''
9=5bDas Haus in Selbstbauweise: Doris und Helmut bauen eine Fremdenpension. Zwischenschnitt: Doris' Vater, Landwirt, kommentiert die Lage der Bauern (16'28'' - 17'22''). Richtfest.18'18''
10Familie Walter in Woppenroth zeigt die moderne Einrichtung ihres neuen Hauses und erinnert sich an das alte, inzwischen abgerissene Haus.21'00''
11Rudi Molz, Gastwirt und Landwirt aus Woppenroth, berichtet, wie nördlich des Dorfes im Juni 1940 11 Bomben fielen.22'40''
12a"Die Schieferbrecher von Bundenbach beim Zurichten der Dachschieferplatten."24'30''
12bFossilienfunde in den Schieferplatten.25'53''
12cGrubenbeleuchtung vor 80 Jahren, vor der Elektrifizierung.27'19''
12dChor der Schieferbrecher: "Mein Vater war Bergmann", dazu Schwenk über das Tal der Schmidtburg auf den Herrenberg.29'10''
13aAmerikanische Düsenjäger über dem Hunsrück. (vgl. HEIMAT, Film 11, Marias Beerdigung)30'00''
13bAmerikanische GI's in einer Stripteasebar in Lautzenhausen.30'39''
13cFahrt durch Lautzenhausen zur Hahn Airbase (vgl. auch HEIMAT 3), aus dem Off: Geschichte einer Prostituierten über den Besuch eines Bauern.31'37''
13dFrau Rabe und Herr Michels unterhalten sich auf der Autofahrt unterwegs zu ihrem Arbeitsplatz auf der Hahn Airbase.32'48''
13eAlfred Michels aus Bundenbach über seine Arbeit als Masseur auf der Airbase - "Alfred's Training Room".35'49''
13fAlfred Michels trifft die Schieferbrecher am "Bildchen", einer kleinen Kapelle im Wald bei Bundenbach, und spricht mit ihnen über dessen Geschichte.39'37''
14aRudi Bast, Schreinermeister aus Schlierschied, erzählt und stellt nach, wie er kurz vor Kriegsende am 17.3.1945 desertierte und nach Hause flüchtete.48'20''
14bBast zeigt den Ort einer ehemaligen amerikanischen Artilleriestellung auf dem Leimberg, von wo aus Schlierschied mit Phosphorbomben beschossen wurde, und kommentiert den Fluglärm der Amerikaner.49'05''
14cBast bei Familie Scherer. Der Vater berichtet, wie die Familie beim Einmarsch der Amerikaner durch den Einschlag einer Granate schwer verwundet wurde und einen Sohn verlor, und zeigt den Granatsplitter.51'39''
15aAlice Sulzbacher aus Woppenroth erteilt ihren Söhnen Gitarrenunterricht und berichtet im Beisein von Feriengästen über die Familie und ihr Verhältnis zur Musik53'37''
15bChorprobe des Woppenrother Frauenchors, Leitung: Alice Sulzbacher54'17''
15cSängerfest im Sportheim Schneppenbach, der Woppenrother Frauenchor ist dabei55'37''
16Zwischenschnitt: Die Kirche von Schlierschied im Herbst 198055'57''
17=14dRudi Bast schildert und stellt nach, wie die Dorfbewohner sich vor den nach Schlierschied vorrückenden Amerikanern in einem Schieferstollen versteckten.57'13''
18aSprengung in einem Steinbruch. Edelsteine im Fischbachtal, deren Abbau heutzutage unwirtschaftlich ist.58'48''
18bDie Mühlen der Achatschleifer. Ernst Biel, "Schliffer", erklärt das Mühlrad und seine Schmierung, erzählt über die Tradition des Achatschleifens und führt das Handwerk vor.1'02'03''
18cErnst Biel in der Küche seiner Wohnung, sieht der Oma beim Spinnen zu.1'02'38''
18dHerr Leiser, Achatschleifer in Kirschweiler, in seiner Schleiferei. Edelsteine. Über die Stühle der Achatschleifer.1'05'52''
18eBeim Gemmenschleifer Schuch in Kirschweiler: das Handwerk, beruflicher Status der Schleifer und Beispiele für Gemmen.1'09'36''
19aDer Chor der Schieferbrecher singt das Schinderhannes-Lied. Zwischenschnitte: Bahnfahrt (1'09'36'' - 1'10'34''), Darstellerinnen der Laienspielgruppe Kirchberg in typischen Kostümen in einem Wald (1'10'55'').1'11'19''
19bSpielszene der Laienspielgruppe Kirchberg: Schinderhannes und Julchen. Darsteller: Manfred Kuhn (später: Anton Jakob in HEIMAT, Bürgermeister Toni in HEIMAT 3) und Helma Hammen (verantwortlich für die Hunsrücker Laiendarsteller und Komparsen in HEIMAT 3)1'11'58''
20Kamerafahrt durch Dörfer und Landschaft: Man sieht Menschen, teils bei der Arbeit, u. a. auch zwei Personen, ich vermute Mutter und Bruder von E. R., die aus dem Fenster des Reitzschen Elternhauses in Morbach schauen.1'13'29''
21aGeschichte der Zeitungen im Hunsrück. Einblick in das Druckhandwerk.1'14'24''
21bDr. Hammes, einst Redakteur der Hunsrücker Zeitung (1936-9 und 1949-69), erzählt über seine journalistische Grundhaltung, sein Verhältnis zur Musik, und spielt auf der Orgel vor (zur Orgelmusik sehen wir im Zwischenschnitt Landschaftsbilder, Felder im Morgennebel). Schließlich berichtet Hammes über den Sport und die in den 50er Jahren sehr erfolgreiche Fußballmannschaft des SV Woppenroth.1'18'12''
21cDie Traditionself des SV Woppenroth trifft sich in einer Gaststätte, das Vereinslied wird gesungen, Erinnerungen und Anekdoten werden ausgetauscht.1'21'00''
21dAlbert Sulzbacher, Mitglied der Woppenrother Traditionself, und Emil Heidrich bei der Waldarbeit. Sie sprechen über die Arbeit und ihre Kriegserfahrungen.1'24'05''
22aDer schwerkranke Gustav Molz zeigt Peter Steinbach Fotos von seinem Elternhaus in Wolf an der Mosel. Dann macht er sich mit Sohn Rudi und Schwiegertochter Marga im weinroten Opel Rekord auf den Weg dorthin. Dort angekommen scharen sich noch einmal einstige Weggefährten um ihn, begrüßen ihn und sprechen über alte Zeiten.1'31'12''
23Kinder beim Spielen in einem kleinen Wäldchen. Albert Sulzbacher erzählt ihnen, wie schon er als Kind dort gespielt hat, wie die Wäldchen im Zuge der Flurbereinigung entstanden sind und welchen ökologischen Nutzen sie erfüllen.1'33'48''
24aAusgrabungen auf einem mehr als 2000 Jahre alten Gräberfeld nahe der Hunsrückhöhenstraße (B 327). ein Archäologe erzählt, mehrfach unterbrochen durch den Lärm der amerikanischen Düsenjäger.1'36'22''
24bEine amerikanische Familie beim Picknick in der Burgruine Baldenau bei Morbach, Düsenjäger.1'37'20''
25An einem Sonntag an der Schiefergrube Bundenbach. Die Schieferbrecher erinnern sich (aktiv) an die Spiele ihrer Kindheit.1'43'31''
26Hunsrücker Gesichter. Porträts in schwarzweiß.1'46'03''
27=22bJutta Molz und ihr Opa Gustav geben bei der Bundestagswahl am 5.10.1980 ihre Stimme ab.1'47'44''
28Ferdinand Binches, Hotelier aus Morbach, bei der Hubertusjagd 1980. Er stellt (sicher nicht ganz uneigennützig) Jägern aus dem Ruhrgebiet und dem Frankfurter Raum, die über kein eigenes Revier verfügen, seines zur Verfügung. (vgl. HEIMAT, Film 10: Der Fuhrpark der Jäger aus Düsseldorf)1'49'27''
29Der Kinderchor Schneppenbach im großen Abbau der Schiefergrube Herrenberg bei Bundenbach. Solistin Marion Kullmann singt "Ave Maria". Dazwischen geschnitten: Landschaftsaufnahmen. (vgl. HEIMAT, Film 13, Schlusschor, sowie Ernsts Absicht in HEIMAT 3, in das Museum an gleicher Stelle einen Konzertsaal zu integrieren.)1'52'18''
30Alice Sulzbacher hat sich mit Kindern und anderen um einen Globus gruppiert und "erfühlt" mit dem Finger die Lage des Hunsrück. Dazu ein Lernspruch: "Mosel, Nahe, Saar und Rhein, schließen rings den Hunsrück ein." Gelächter.1'53'19''
30I1Insert: "Opa Molz starb am 4.4.1981. Ihm ist dieser Film gewidmet."
30I2Abspann