Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

„Nie mehr die Liebe“ – Das Spiegel-Motiv in Die zweite Heimat

„Lieber Gott, du bist in mir. Deswegen kannst du mich auch hören. Deswegen gelobe ich jetzt folgendes.
Erstens: Mit der Liebe soll es für alle Zeiten vorbei sein. Wenn es nämlich die Liebe gibt, dann gibt es sie nur einmal, und lieber wollt‘ ich mir die Zung‘ abbeißen, als zu einer anderen Frau zu sagen: Ich liebe dich. Und auf die zweit und dritt und viert und fünfzehnt Lieb‘ kann ich verzichten, weil ich sie lächerlich finde.
Zweitens: Ich schwöre, dass ich aus Schabbach und dem fürchterlichen Hunsrück fortgehe. Vor allem von meiner Mutter und dem Elternhaus – und ich will nie mehr zurückkommen, auch dann net, wenn ich mal berühmt bin und sie mich alle gern sehen wollen. Dann erst recht net.
Drittens: Die Musik soll meine einzige Liebe sein und meine Heimat. Die Musik ist überall, wo die Menschen frei sind. Ich weiß, dass mich niemand verstehen wird, aber ich will von den großen Meistern lernen, die auch alle einsam waren.

Lieber Gott, ich schwöre, dass ich all das eisern in die Tat umsetzen werde, sobald ich neunzehn bin und das Abitur bestanden habe. Amen.“

Wie von Geisterhand öffnet sich in diesem Augenblick die Spiegeltür von Hermanns Kleiderschrank. Hermann spürt das und wendet den Blick ins Zimmer. Er sieht das Spiegelbild, das seinen nackten Rücken zeigt, und ihn, wie er im Abendlicht kniet nach seinem Gelübde. Der Blick in den Spiegel ist wie ein Blick in eine andere Welt.

Hermanns Schwur, zitiert nach Edgar Reitz: Die Zweite Heimat. Chronik einer Jugend in 13 Büchern. Drehbuch, Goldmann (München) 1993, S. 11f.

Ganz zu Beginn der Zweiten Heimat, kurz vor seinem Aufbruch nach München, schwört Hermann bei Gott der Liebe ab. Nach der tiefen seelischen Verletzung, die er durch die Erfahrung mit Klärchen (siehe HEIMAT, Film 9) erlitten hat, weiß er, dass er sich nie wieder einer Frau jemals so hingeben können wird, nie wieder eine solch tiefe Liebe erfahren wird, die Seele nie wieder „ja“ sagen wird. In dieser Szene wird das Spiegelmotiv, das in der Folge symbolisch an diesen Schwur erinnert, etabliert.
In den folgenden Filmen taucht, wenn Hermann sich einer Frau körperlich hingibt (Ausnahmen: Renate, Helga und Katrin), die Liebe anklopft oder er an sie erinnert wird, immer also wenn das Gelübde zu brechen droht, dieses Motiv wieder auf. Zuletzt nach der Nacht mit Clarissa im Hotel Acacia in Amsterdam, wo er schließlich den Spiegel im Zimmer des Hotels zerstört – allerdings weniger als Symbol für den Bruch des Gelübdes bzw. aus Frust über den gescheiterten Traum, gemeinsam mit Clarissa ein glückliches Leben zu führen, sondern vielmehr für die in ihm immer stärker Raum greifende Ziel- und Heimatlosigkeit. Aus dem einen Spiegel sind hunderte vieler kleiner Spiegel geworden, die den Effekt verstärken, dem Schwur also noch einmal eine besondere Kraft verleihen.

„Meine Träume sind andere. Welche, das möchte ich herausfinden. Ich möchte das Warten lernen.“

Hermann, zurück auf dem Weg nach Schabbach, in seinem Brief an Konsul Handschuh