Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

Zum Tod von Noemi Steuer

Edgar Reitz hat mich persönlich darüber informiert, dass am vergangenen Dienstag (14.7.2020) Noemi Steuer im Alter von nur 63 Jahren verstorben ist. Noemi Steuer ist allen HEIMAT-Begeisterten durch ihre Darstellung der Helga Aufschrey in Die zweite Heimat bekannt und in eindrucksvoller Erinnerung. Es gelang ihr dabei, die Geschichte einer aus dem bürgerlich-ländlichen Milieu der Provinzstadt Dülmen stammenden jungen Frau, die den Wandel von einer romantische Gedichte schreibenden Jungfrau hin zu einer gesuchten Linksterroristin durchlebt, authentisch und glaubwürdig zu verkörpern. Edgar Reitz sagt über die Verstorbene: „Noemi war eine besonders wichtige und für mich inspirierende Mitarbeiterin, die an der dargestellten Figur und deren Geschichte einen großen Anteil hatte.“

Noemi Steuer wurde 1957 in Basel geboren und lernte an der Schauspielakademie in Zürich, parallel arbeitete sie bei einem Zirkus. Sie spielte bereits vor der Zweiten Heimat Theater in Zürich, Essen, Basel, Wuppertal, Tübingen, Bonn und Kiel, und war in der Folge bis 2002 an verschiedenen Film- und Fernsehproduktionen beteiligt, etwa in der Serie „Freunde fürs Leben“ an der Seite von Michael Lesch oder in einer Tatort-Produktion des wdr (1998). Im Nachklang der Zweiten Heimat drehte sie mit Laszlo I. Kish und Frank Röth den Kurzfilm Gänsehaut, der auf vimeo zu sehen ist.

Noemi Steuer arbeite jedoch nicht nur als Schauspielerin. Sie studierte Afrikanolgie (B. A.) an der Universität Köln und setzte ihr Studium in ihrer Heimatstadt Basel mit dem Masterstudiengang Soziale Anthropologie fort. Sie engagierte sich anschließend in Mali in Form von Theaterprojekten zu den Themen Migration und AIDS. Der Film „Wo Milch und Honig fließen“ (OT „Le Pays où on fabrique l’argent“), eine Auftragsarbeit des Bundesamtes für Migration der Schweiz, gedreht von Laszlo I. Kish (!), dokumentiert die Arbeit von Steuer und Regisseur Clemens Bechtel mit den Menschen dort. Aus dieser Phase ihres Schaffens finden Sie zudem ein interessantes Interview aus dem Jahr 2006 auf onlinereports.ch.
Noemi Steuer hat 2011 am Institut für Soziale Anthropologie der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eine Dissertation mit dem Titel „La bouche des autres – Soziale Anerkennung und HIV im urbanen Mali“ vorgelegt. Sie arbeitete anschließend als „senior teacher“ am Zentrum für Afrikastudien der Universität Basel und setzte ihr Engagement für Menschen in Afrika fort. Sie koordinierte von 2013 bis 2018 das Forschungsprojekt „Construire son avenir: Selbstverständnis un Laufbahnpraktiken von Jungdiplomierten in Burkina Faso und Mali“ und leitete das Kommunikationsprojekt „Longing for the future“, das sich wissenschaftlich mit den Lebenskonzepten und Zukunftsvorstellungen junger Menschen beschäftigt und „einen Raum bietet für den Ausdruck von Hoffnungen, Ideen, Erwartungen und Herausforderungen, die von jungen Menschen auf der ganzen Welt geteilt werden“.
Im Rahmen ihrer universitären Arbeit hat sie auch mehrfach publiziert, Ihre Arbeiten sind neben den hier verarbeiteten Informationen auf der persönlichen Seite des Zentrums für Afrikastudien der Universität Basel aufgeführt.
Zuletzt koordindierte sie „Ideas“, ein Kooperationsprojekt der Universitäten Bamako, Conakry and Basel, in dem es um den internationalen Studentenaustausch zwischen Afrika und der Schweiz geht.

Parallel zu ihren universitären Projekten engagierte sie sich bei der Etablierung und wissenschaftlichen Begleitung von Theaterprojekten in vielen Teilen Afrikas sowie als Vizepräsidentin der der Organisation IAMANEH (International Association für Maternal and Neonatal Health): „IAMANEH Schweiz setzt innovative Projekte in den Bereichen Gesundheit, Gewalt und Gender auf der Basis der Menschenrechte um. Wir wollen in der Gesundheitsversorgung Lücken schliessen und jede Form der Gewalt an Frauen und Mädchen verhindern.“ Auch im diesem Kontext finden sich Kurzfilme von Laszlo I. Kish, z. B. „ASLAD – Die gute Sache“ oder „Maschen für Mali“ (beide mit Noemie Steuer als Sprecherin).

Mit Noemi Steuer verlässt uns nach kurzer, schwerer Krankheit ein besonderer Mensch. Ihr Engagement für die Menschenrechte und Chancengleichheit und gegen die Benachteiligung besonders von Frauen und Kindern in Afrika ist beispielhaft und vorbildlich in einer Zeit, in der es vielen Menschen fremd scheint, auf eigene (meist nur materielle) Vorteile zu verzichten und sich für benachteiligte Menschen einzusetzen. So intensiv und stark Noemi Steuer ihr Rolle in Die zweite Heimat mit Leben gefüllt hat, so hat sie auch ihr eigenes Leben gelebt. Möge sie vielen Menschen in dankbarer Erinnerung bleiben.

Frank Röth, Darsteller des Stefan Aufhäuser, berichtet von der beim Dreh von DzH entstandene Freundschaft zwischen ihm, Noemi Steuer, Peter Weiß (Rob), Lena Lessing (Olga) und Laszlo I. Kish (Reinhardt), die bis heute Bestand hat. Noemi Steuer war seine „liebste und beste Freundin“. Er schreibt: „‚Die zweite Heimat‘ war für so viele (damals junge) Menschen prägend und Lebens verändernd – das konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen. Aber es ist unglaublich schön, immer wieder zu erfahren, was dieser Film bei so vielen ganz persönlich ausgelöst hat. Insofern ist es eben keine Floskel, zu sagen: Noemi wird unvergessen bleiben.“

(c) Bild: iamaneh.ch

Link: Nachruf auf der Seite des Zentrums für Afrikastudien der Universität Basel.