Der Siegener Schriftsteller und Kulturpädagoge CRAUSS., regelmäßigen Besucher(inne)n von heimat123.de bereits durch seinen Beitrag Die Mitte der Welt. Hermann W. Simon zum 61. Geburtstag (2001, siehe Materialpool) bereits bekannt, hat sich erneut auf wissenschaftlichem Niveau mit den HEIMAT-Filmen von Edgar Reitz auseinandergesetzt. Als treuer Besucher von heimat123.de stellt er Ihnen hiermit seine neue Studie gerne zur Verfügung.
In seiner Arbeit Erzeugung von Authentizität und Historizität im Film am Beispiel von Edgar Reitz‘ Heimat-Reihe (2024) geht er der These nach, „dass Reitz insbesondere mit seinen filmischen Heimat-Epen auf eine besondere Weise das Gefühl von Authentizität beim Rezipienten evoziert, und dass er dies anders tut als der Historien- oder Zeitfilm üblicherweise: mittels der Methode der dichten Beschreibung, wie sie Clifford Geertz für die Einordnung sozialer Systeme vorgeschlagen hat. Diese als eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen des Regisseurs und tradierten Erzählungen präsentierte Filmfiktion kann nämlich, so meine Auffassung, auf der Zuschauerseite als eine Art teilnehmende Beobachtung rezipiert und dadurch in eine kollektive Erinnerung überführt werden.“1
Sein Vorgehen im Rahmen der Studie beschreibt er so:
„Der erste Schritt wird sein, zu zeigen, dass für Reitz Historizität mit Erinnerung bzw. Erinnerungsarbeit verbunden ist, zumal dort, wo es keine gesicherten Dokumente gibt, die eine Re-Konstruktion der Geschichte ermöglichen. Auf die Erkenntnis, dass Geschichte heute nicht mehr als koordiniert zusammenhängende Fortschreibung von Kausalitäten erklärt werden kann, gehe ich ein und versuche darzustellen, wie Reitz mit seinem Konzept des Erinnerns die ›Lücken‹ füllt. Dabei führe ich den bisher anders oder zumindest selten in Konkurrenz zum Historien- und Zeitfilm stehenden Begriff des Erinnerungsfilms ein.
Wie die dichte Beschreibung filmpraktisch umgesetzt wird, stelle ich nach einer Einführung in das Heimat-Gesamtprojekt durch einen Kategorien- und Methodenkatalog dar, anhand dessen sich exemplarisch formale wie inhaltliche Vorgehensweisen analysieren lassen, welche es Reitz ermöglichen, eine intensive Bindung zwischen Film und Rezipient zu erwirken. (…)
Idealerweise wird man in der Schlussbetrachtung erörtern können, ob sich meine These bestätigt und die Übertragung des ethnologischen Ansatzes auf Film als fruchtbar erweist oder nicht, d.h. einerseits, ob es Reitz gelingt, den Rezipienten in seine Filme ›hineinzuholen‹ und ihn ›dicht‹ am Geschehen teilhaben statt bloß zusehen zu lassen. Möglicherweise wird man nicht nur feststellen können, ob historisches Geschehen authentisch gezeichnet wird bzw. ob der Eindruck des Künstlichen, des ›Gemachten‹ überwiegt. Auch die Arbeitshypothese an sich wird kritisch zu hinterfragen sein: Lässt sich der Versuch, Authentizität im Film herzustellen auf Rezipientenseite als teilnehmende Beobachtung erleben, d.h., lässt der Begriff sich tatsächlich plausibel auf eine Medienanalyse übertragen?“2
Die vollständige Studie können Sie hier herunterladen.
CRAUSS. *1971, lebt in Siegen/D und ist Kulturpädagoge (u.a. Uni Siegen sowie verschiedene Schulen). Er wurde Mitte der 1990er Jahre durch neue, produktive Verfahren einer Videoclip-Ästhetik in der Lyrik einem breiteren Publikum bekannt. Crauss wurde mit wichtigen Stipendien gefördert, mit Literaturpreisen ausgezeichnet, seine Dichtung in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Neben populärwissenschaftlichen Essays und »gesprochenen Liedern« sind die letzten Veröffentlichungen: DIE HARTE SEITE DES HIMMELS (Pilotengedichte 2018) und SCHUNDFAKTOR (Hybride & Destillate/ Essays 2018). Näheres auf www.crauss.de und @die_ewige_enke.3
Fußnoten