Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

„Abschied von Schabbach“ im KINO HEIMAT

Sehr genau 20 Jahre ist es her, dass die auf je 90 Minuten pro Film zwangsweise zurechtgestutzte Fernsehfassung von HEIMAT 3 – Chronik einer Zeitenwende ausgestrahlt wurde und leider, auch Tsunami-bedingt, nicht die Herzen des Publikums erreichte. Im KINO HEIMAT, angesiedelt exakt an dem Ort, wo Edgar Reitz als Heranwachsender mit seinem Handkurbelprojektor die im Morbacher Dorfkino1 angefallenen und selbst neu zusammengeschnittenen Filmreste vorführte2, wurde in den vergangenen Monaten die komplette Kinofassung von HEIMAT 3 gezeigt (die vor wenigen Tagen übrigens frisch digital restauriert auf blu ray erschienen ist).

Zum abschließenden sechsten Film mit dem symbolträchtigen Titel „Abschied von Schabbach“ hatte Betreiber Alfons Schramer mich als Kurator eingeladen, und es war eine Freude mit einem hochinteressierten handverlesenen Publikum den Abend zu gestalten.

Zur Einordnung des dritten Teils der Trilogie ist es von Bedeutung, die völlig unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der drei Teile zu berücksichtigen, welche wiederum Filme sehr unterschiedlicher Qualität hervorbrachten. HEIMAT, dessen Entwurf Edgar Reitz nach dem ökonomischen Desaster mit Der Schneider von Ulm eingeschneit auf der Insel Sylt schuf, war wesentlich dem Vertrauen und Pioniergeist von Joachim von Mengershausen, seinerzeit Chefredakteur beim WDR, zu verdanken. Dass die Geschichte aus der Sicht der kleinen Leute zu solch einem Erfolg wurde war allein angesichts des zeitlichen Formats nicht zu ahnen. Dieser große Erfolg eröffnete Reitz für Die Zweite Heimat großartige (auch finanzielle) Möglichkeiten, aus denen über 26 Stunden Film in 13 Teilen hervorgingen. Reitz hat Die Zweite Heimat stets seinen besten Film genannt. Das deutsche Publikum wusste die Flucht Hermanns aus dem übersichtlichen Schabbach in die Münchner Bohème jedoch nicht zu schätzen, anders als beispielsweise das Italienische. Und so kam es dazu, dass Edgar Reitz für HEIMAT 3 jahrelang kämpfen, sich immer wieder mit Redaktionen öffentlich rechtlicher Fernsehsender auseinandersetzen musste und schließlich nach Fertigstellung der sechs Filme auch noch die Auflage bekam, jeden von ihnen auf 90 Minuten zu kürzen. Eine tiefe Verletzung, die ihn dazu verleitete, „Abschied von Schabbach“ zu nehmen:

„Das ist natürlich schon für mich ein tiefgreifendes Erlebnis zu sagen ‚dieses ist der letzte Teil von Heimat‘, also als berufliche Aufgabe. Und ich habe doch immerhin na bald 25 Jahre mit diesem Projekt verbracht, sodass dieses Projekt selbst eine Art Heimat bildet. Und das zu beenden, das ist nicht schmerzlos. Der Stoff geht mir nicht aus, und Geschichten erzählen unter dem Dach eines großen erzählerischen Werkes das Heimat heißt, das könnte ich ewig fortsetzen so lange ich gesund bin und arbeiten kann. Aber mit deutschen Fernsehsendern mich um das Budget zu streiten und jede Silbe im Drehbuch rechtfertigen zu müssen, das will ich nicht noch einmal, das ist klar. Deswegen ist es Abschied von Schabbach.“
Edgar Reitz in Utz Kastenholz’s Dokumentation „Schabbach ist überall“, gesendet im SWR am 11.12.2004

Die „scheue Mieterin“, gespielt von Elisabeth Degen © ERFilm

Dieser Abschied endet im Film mit einer am Neujahrsmorgen 2000 traurig-ratlos aus dem Fenster des Güderrodehauses schauenden Lulu. „Ohne Geld, ohne Job, ohne Schutz“ blickt sie in eine ungewisse Zukunft. Ein Ende, wie es offener nicht sein kann, und gleichzeitig für Edgar Reitz, den großen Erzähler, der Anfang einer neuen Geschichte, die er in HEIMAT Fragmente – Die Frauen weiter entwickelt hat. Und zudem ein Symbol dieser Zeit, in der es schwer ist, Orientierung und Sicherheit zu finden, Ulrich Beck beschrieb es schon 1986 in seinem Buch Risikogesellschaft.

Nicht fehlen durfte natürlich die Frage nach der auf der Silvesterfeier mit einem Kästchen in der Hand auf der stetigen Suche nach Gunnar umherirrenden mysteriösen Frau. Es handelt sich um die „scheue Mieterin“ aus dem Berliner Haus, in dem Gunnar im zweiten Film wohnt. Das Kästchen ist eine Hommage an den großen Luis Buñuel, der dieses Motiv in Belle de Jour prägte. Reitz zitiert es übrigens bereits auch in der Zweiten Heimat.

Im Publikum fanden sich auch drei Menschen, die aktiv an der Entstehung von HEIMAT 3 beteiligt waren, nämlich Ingrid und Werner Litzenberger, deren Gelände, die Anzenfelder Mühle, als Film-Wohnsitz von Ernst diente und die im Abspann als „Gute Seelen“ auftauchen, sowie Rudolf Hoidn, der als Produktionsfahrer immer sehr nah am Geschehen war, einmal sogar Hermann Simon doubelte und heute für das Hunsrück-Museum Besucher/innen durch das Edgar Reitz Filmhaus führt. Und so ergab sich ein schönes Gespräch innerhalb der Gruppe, in der zahlreiche Geschichten rund um die Entstehung der Filme ausgetauscht wurden, festgehalten von Claus Schubert, der trotz Glatteiswarnung nach Morbach gekommen war.

Ganz herzlichen Dank für die Einladung und gute Versorgung an Alfons Schramer. Wir planen weitere gemeinsame Projekte im starken Interesse, Café und Kino HEIMAT noch mehr als bisher zum Pilgerort für Reitz-Begeisterte zu machen. Dazu ist angedacht, die Thematik auch jungen Menschen zugänglich zu machen, insbesondere durch die Einbeziehung moderner Filme unter der großen Überschrift HEIMAT. Beteiligt ist daran auch der in Morbach aufgewachsene Regisseur, Kameramann und Drehbuchautor Achim Wendel, der zuletzt durch seine Dokumentation Kriegsmädchen Aufmerksamkeit erlangte. Näheres dazu erfahren Sie zu gegebener Zeit natürlich wie gewohnt auf heimat123.de.


Fußnoten
  1. im ehemaligen Tanzsaal des Gasthauses Kimmling, vgl. Edgar Reitz: Filmzeit Lebenszeit, Berlin 2022, S. 56 []
  2. vgl. ebd., S. 58 []