Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

FILMSTUNDE_23 im Filmhaus Bielefeld

Gestern Abend hatte ich die Ehre und das Vergnügen, im gut gefüllten großen Saal der Kamera unter dem Dach des Filmhaus Bielefeld e. V. die Aufführung von FILMSTUNDE_23 zu begleiten. Nach einem einführenden Kurzvortrag fand im Anschluss an den Film ein Gespräch mit Jörg Adolph statt, der via Zoom live aus München zugeschaltet war.

In meiner Einführung machte ich unter anderem auf den Beitrag von Thomas Mauch zur Ur-Filmstunde aufmerksam und berichtete von meinen Beobachtungen bei der Berlinale 2024 nach der Uraufführung des Films, die die Hoffnung nähren, dass Edgar Reitz und Thomas Mauch bei der anschließenden Premierenfeier wieder zueinander gefunden haben. „So verbirgt sich hinter FILMSTUNDE_23 auch ein kleines Stück großer deutscher Filmgeschichte.“

Jörg Adolph freute sich sehr über die Begeisterung des Bielefelder Publikums: „Ich hoffe, dass beim Sehen des Filmes auch viel gelacht wurde. (…) Ein Freund sagte neulich zu mir, FILMSTUNDE_23, das ist doch wirklich nur etwas für absolute Film-Nerds, worauf ich antwortet ‚Nein, überhaupt nicht, das ist der niederschwelligste Film, den ich je gemacht habe‘, den kann eigentlich jeder ansehen, das ist Kino als Schule des Lebens, dazu bedarf es keiner speziellen Filmleidenschaft, und ich hoffe, dass sich das irgendwie überträgt. Bisher war es bei den Aufführungen so, dass viel gelacht wurde, und das hat uns gefreut. Man lacht ja mit den Menschen dort, und man spürt hoffentlich in jedem Moment, dass sie Spaß an dem haben, was da gerade passiert.“

FILMSTUNDE_23 entstand völlig frei von kommerziellen Zwängen, insofern haben die Macher auch nicht von vornherein daran gedacht, dass der Film die Reise durch die Kinos antreten könnte. Als dann allerdings „der Film auf der letztjährigen Berlinale gezeigt wurde und spürbar wurde, dass er auf der Leinwand auch funktioniert, und es war eine große Vorführung mit 1000 Menschen, (…) da hatten wir anschließend natürlich alle das Gefühl, der Film muss ins Kino! Joachim Kühn ist mit seinem Verleih realficition einer der besten Verleiher für Dokumentarfilme und es hat uns sehr gefreut, dass er bereit war, den Film im Rahmen eines kleinen Release in die Kinos zu bringen.“

Gefragt nach den Frauen der Klasse von 1968 erzählte Jörg Adolph: „In der Klasse waren damals 26 Mädchen, und 19 davon waren bei dem Klassentreffen, (…) und von der Grundkonstellation her ging es dabei natürlich nicht darum, dass wir filmen, sondern um die Wiederbegegnung mit sich selbst und dem alten Lehrer. (…) Es ist häufiger nach dem Film gefragt worden, wie viele der Frauen denn Filmemacherin geworden seien, und Edgar hat dann stets gesagt, natürlich keine, denn das war ja damals überhaupt nicht das Ziel, wir wollten ja stattdessen lesekompetente Zuschauerinnen ausbilden!“ Beruflich decken die Frauen ein sehr weites Spektrum ab, „auffallend war für mich“, so Jörg Adolph, „allerdings, dass sehr viele Damen einen Doktortitel haben, aber alle nicht wollten, dass das im Abspann zu sehen ist.“

Auf die Frage danach, ob die Super 8-Filme der Frauen veröffentlicht würden, verriet Jörg Adolph, dass die Idee bestehe, eine DVD-Edition herauszubringen, auf der sie enthalten seien. Allerdings sei unklar, ob ein Verlag dafür gefunden werde.

Auf die Erzählungen von Jörg Erber über seine handlungsorientierte medienpädagogische Arbeit („wir sind mit Videokameras durch die Schulen gezogen“) berichtete Jörg Adolph: „Ich bin ja eigentlich ein überausgebildeter Filmemacher (…), aber zum Film bin ich durch die Arbeit eines Jugendhausleiters bei uns im kleinen Ort Korbach (Waldeck Frankenberg) gekommen, (…) der hatte auch eine Videogruppe, an der ich teilnahm, und das war für mich die Initialzündung, danach war klar, ich will mich mit Film beschäftigen.“

Über die Erzählungen zum Hintergrund des Filmes (vgl. hierzu auch meinen Bericht von den Vorpremieren in München) hinaus fand Jörg Adolph, der zuletzt eine Dokumentation über Jugendliche in einer psychosomatischen Klinik drehte, die an Spiel- bzw. Computersucht erkrankt sind, zu sehr klaren Worten im Hinblick auf das Suchtpotenzial digitaler Medien:

„Mir ist beim Drehen klar geworden, wie weit diese junge Generation weg ist von Filmkunst, dass sie es also gar nicht kennen und verstehen können, aber auch gar kein Interesse daran haben. Wenn wir die Medien betrachten geht es eigentlich gar nicht mehr im Qualität, sondern nur noch um das Süchtigmachen, was die Streamer machen ist eigentlich, die Leute anzufixen, es geht darum, Suchtpotenziale auszuschöpfen. Das kann heute bereits jeder, der ein Handy mit sich herumträgt, nachvollziehen. Also süchtigmachendes Design, ‚addictive design‘, das ist mittlerweile das Entscheidende bei dieser ganzen Bewegtbildproduktion. Das macht mich sehr traurig, aber es ist auch wichtig, es zu benennen, denn die Filmkunst kommt nicht von alleine zurück.“

Hiermit wird der Stellenwert einer systematisch in die Lehrpläne eingebundenen Filmbildung, die Menschen dabei hilft, Filmkunst zu erkennen, zu analysieren und zu würdigen, noch einmal mehr betont.

Abschließend wies Jörg Adolph noch auf den neuen Film von Edgar Reitz, Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes hin, der bald auf der Berlinale Weltpremiere feiern wird.

Ganz herzlichen Dank an Jörg Adolph sowie an Jörg Erber und das Team vom Filmhaus Bielefeld für die Einladung und den schönen Abend!

© Jörg Erber, Filmhaus Bielefeld