Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

Deutsche Filmgeschichte: Die Hamburger Erklärung 1979

Nicht nur im Zusammenhang mit Edgar Reitz wird viel über das Oberhausener Manifest (1962) als einem Meilenstein der deutschen Filmgeschichte berichtet. Ein demgegenüber eher unbekanntes Dokument ist die Hamburger Erklärung aus dem September 1979. Siebzehneinhalb Jahre nach Oberhausen war der Versuch, in München – der Stadt, aus der die Köpfe und meisten Unterzeichner von Oberhausen stammten, und die seinerzeit als die Filmstadt Deutschlands galt – ein Filmfest zu etablieren, gescheitert. Alternativ zog man nach Hamburg, wo es gegen Ende des „Filmfest der Filmemacher“ am 22.9.1979 Zeit für ein neues Statement wurde, in dem man sich gegen die Fremdbestimmung des deutschen Films wandte.

Anlässlich des Hamburger Filmfestivals haben wir deutschen Filmemacher uns getroffen. Wir haben 17 Jahre nach Oberhausen eine Art Bilanz gezogen:
Die Stärke des deutschen Films ist seine Vielfalt. In drei Monaten beginnen die 80er Jahre.
Phantasie lässt sich nicht verwalten. Gremienköpfe können nicht bestimmen, was der produktive Film tun soll. Der deutsche Film der 80er Jahre kann nicht mehr von Gremien, Anstalten und Interessengruppen so wie bisher fremdbestimmt werden.
Vor allem:
Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren:
– der Spielfilm nicht vom Dokumentarfilm,
– Filmemacher, die schon Filme gemacht haben, nicht vom Nachwuchs,
– Filme, die das Medium reflektieren (und das praktisch tun, indem sie experimentieren) vom Erzähl- und Kinofilm.
Wir haben unsere Professionalität erprobt. Wir können uns deshalb nicht als Zunft verstehen. Wir haben gelernt, dass unsere Verbündeten nur die Zuschauer sein können: Das sind die Menschen, die arbeiten, die Wünsche, Träume und Interessen haben, das sind Menschen, die ins Kino gehen, und die, die nicht ins Kino gehen, auch die, die sich einen ganz anderen Film vorstellen können.
Wir müssen uns auf die Socken machen.

Hamburger Erklärung, zit. nach Hans Helmut Prinzler und Eric Rentschler (Hrsg.), Der alte Film war tot. 100 Texte zum westdeutschen Film 1962-1987, Frankfurt/M. 2001, S. 32

Die Erklärung wurde von über 50 Filmschaffenden unterschrieben, unter ihnen Hark Bohm, Peter Fleischmann, Hans W. Geißendörfer, Wolf Gremm, Reinhard Hauff, Werner Herzog, Alexander Kluge, Jeanine Meerapfel, Rosa von Praunheim, Edgar Reitz, Helma Sanders-Brahms, Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder.1

„Der Hamburger Senat erkannte seine Standortchance im Wettbewerb mit München und machte zwei Millionen Mark im Jahr frei: Das „Hamburger Filmbüro e.V.“ entstand [als Zusammenschluss einer Gruppe von Hamburger Filmemachern, u. a. Hark Bohm, Ende Oktober 1979]. Der Verein wählte auf seinen Mitgliederversammlungen nun zwar selbst Gremien – die allerdings funktionierten vergleichsweise transparent und waren unabhängig von Politik, Lobbys und Fernsehen. Jetzt hatte die „Sex, Dugs and Rock’n’Roll-Generation“ des deutschen Films ihr Schicksal selbst in der Hand, resümiert (…) Dieter Kosslick, [von 2001 bis 2019 Leiter der Berlinale].

Aus dem Hamburger Modellprojekt ist eine bis heute ungekannte Bandbreite an Filmen hervorgegangen: kurze und lange, experimentelle und konventionelle, dokumentarische und fiktive, viel beachtete und kaum gesehene. (…)

Auch bei weiteren Modifikationen stand Hamburg jeweils mit an der Spitze der Entwicklung: 1982 wurde zusätzlich eine kommerziell orientierte Filmförderung eingerichtet, womit Film als Kulturgut und Wirtschaftsfaktor anerkannt und das so genannte duale System (der Filmförderung, nicht der Abfallentsorgung) geboren war: Eine Vertriebsförderung bezuschusst Verleihe und bringt geförderte Filme so ins Kino. Ein „Location-Büro“ unterstützt Produzenten beim Dreh in der Stadt und ist immer noch stolz, James Bond für „Der Morgen stirbt nie“ an die Elbe gelotst zu haben.“2


1 https://www.hhprinzler.de/2021/09/der-neue-deutsche-film-und-rainer-werner-fassbinder/
2 https://www.spiegel.de/kultur/kino/filmfoerderung-hamburg-20-jahre-sex-drugs-and-rock-n-roll-a-91450.html

Abbildungen:
– Plakat Hamburger Filmfest 1979: Hamburger FLIMMERN. Die Zeitschrift des Film- und Fernsehmuseums Hamburg e. V. Nr. 17, November 2010, S. 36, online unter https://www.filmmuseum-hamburg.de/fileadmin/bilder/flimmern_pdf/flimmern_17.pdf.
– Logo Hamburger Filmbüro: https://www.filmmuseum-hamburg.de/filmstadt-hamburg/institutionen/hamburger-filmbuero-ev.html
– Beitragsbild: Ausschnitt aus dem Cover des Buches Filmförderung Hamburg (Hrsg.): Filmfest 79 in Hamburg 18.-23. Sept. 79 Das Filmfest der Filmemacher. Dokumentation, Hamburg 1979