In der Zeit vom April bis Juli 2004 leitete ich ein Projekt zu HEIMAT am Gymnasium Nepomucenum Rietberg. Wesentliche Zielsetzung war es, Menschen unterschiedlicher Generationen durch HEIMAT ins Gespräch über ihre persönliche Biographie zu bringen. Beteiligt waren Seniorinnen und Senioren aus unserer schuleigenen Seniorenakademie „EULE“ sowie Schüler/innen der Jahrgangsstufen 10 und 12.
Das Papier, mit dem die Einladung der Teilnehmer/innen erfolgte, können Sie hier herunterladen.
Der folgende Bericht stammt vom 22 Juni 2004:
Seit dem 21. April dieses Jahres betreue ich an meiner Schule ein Seminar zum Film HEIMAT. Die Idee hierzu entstand in meinem Leistungskurs Sozialwissenschaften. Die Schüler/innen waren durch meine Internetseiten auf den Film neugierig geworden, und so vereinbarten wir, in der letzten Doppelstunde vor den Weihnachtsferien einen der Filme anzusehen. Die Reaktion der Schüler/innen auf den Film, ich hatte den zweiten Teil „Die Mitte der Welt“ ausgewählt, war (für mich in dieser Einmütigkeit überraschend) äußerst positiv, so dass wir vereinbarten, nach einer Organisationsform zu suchen, in dem wir alle Teile des Filmes ansehen konnten.
Auf der Rückfahrt von einer Exkursion zum Düsseldorfer Landtag entstand die Idee, Teilnehmer/innen der an unserer Schule etablierten Seniorenakademie EULE, in der Schüler/innen ab Klasse 10 Senior(inn)en ab 55 unterrichten, einzubeziehen, um das Gesehene im generationenübergreifenden Dialog aufzuarbeiten. Dieser Gedanke, das lässt sich schon jetzt, nach 8 Sitzungen sagen, hat sich in einer nie erwarteten Qualität bewährt: HEIMAT ist in der Tat in der Lage, die Menschen anzuregen, offen und vorbehaltlos über ihre ganz persönliche Geschichte, ihre Lebenserfahrung zu sprechen. „Das was da gezeigt wird ist doch unser Leben,“ sagte eine der älteren Teilnehmerinnen vor kurzem. Unnötig zu erläutern, wie sehr die Schüler/innen von dieser Erfahrung profitieren.
Ein absolutes Highlight des Projekts war der Besuch des Schauspielers Rüdiger Weigang, der in Heimat eine Hauptrolle (Eduard Simon) gespielt hat, in der dritten Sitzung. Ihn einzuladen erschien möglich, da er nur 25 Autominuten von Rietberg entfernt in Lippstadt lebt. In einem Vorgespräch bekundete Rüdiger Weigang gleich Interesse und Bereitschaft, meiner Einladung zu folgen, und ich merkte ihm an, dass es ihn weder überraschte noch lästig war, auch über zwanzig Jahre später noch auf Heimat angesprochen zu werden. Am 21. April holte ich Rüdiger Weigang, während der Rest der Gruppe den dritten Teil, „Weihnacht wie noch nie“, ansah, in Lippstadt ab. Auf der Fahrt nach Rietberg entwickelte sich gleich ein lebhaftes Gespräch. Schnell bemerkte ich: neben mir sitzt ein politisch und gesellschaftlich interessierter Mensch, ein Mensch, der etwas zu sagen hat.
In Rietberg angekommen verfolgten wir noch gemeinsam die letzten Szenen des dritten Films, um dann das Gespräch zu eröffnen. Anfangs noch ein wenig schüchtern, kamen nach und nach mehr und mehr Fragen aus der Runde. Thematisiert wurde zunächst Weigangs privater und beruflicher Werdegang, dann Details zur (konzeptionellen und praktischen) Entstehung von Heimat, zur Zusammenarbeit mit anderen Schauspieler(inne)n, insbesondere den zahlreichen Laiendarstellern, der Dialekt, sein Verhältnis zu seinem alter ego, Eduard Simon (R. W. mit Verweis auf die Szene unter der Standuhr am Ende von Film vier: „Der Eduard, das ist doch ein Dummkopf.“) sowie zum eigentlichen Thema der dritten Episode, nämlich zum Rechtsextremismus – früher wie heute. Abschließend drehte sich das Gespräch um den Beruf des Schauspielers an sich.
An dieser Stelle ausführlich auf tiefer gehende Details der Gesprächsrunde einzugehen würde sicher den Rahmen dieses Berichts sprengen, daher beschränke ich mich auf nur einige Aspekte. Gleich zu Beginn stellte ich die Frage, ob Weigang selbst während der Dreharbeiten das Gefühl gehabt habe, dass der Film ein Erfolg werde. Dazu äußerte er, dass im Gegenteil im Ensemble zunächst eher eine skeptische Stimmung verbreitet gewesen sei. Zu wenig sei man zunächst von der Grundidee überzeugt gewesen, der rote Faden sei nicht immer transparent gewesen, zudem sei man aufgrund der Länge und Struktur des Filmes unsicher gewesen, da diese ja durchaus sowohl für die Darsteller als auch für das Publikum ungewohnt gewesen seien. Er betonte allerdings auch, dass er später seine Meinung gründlich geändert habe. Die besondere Qualität von HEIMAT sieht er gerade in der (anfangs skeptisch beurteilten) Serienstruktur, der Zusammensetzung des Ensembles sowie der Authentizität der Darstellung – und nicht zuletzt im Drehbuch („Das hat der Edgar schön geschrieben.“). Er machte zudem deutlich, dass er die nun entstandene Heimat-Trilogie allenfalls unter Aspekten des Marketing, nicht aber aus konzeptioneller Sicht als eine solche ansehe. R. W.: „So etwas wie HEIMAT, das kann man nur einmal machen, das gibt es nicht wieder.“
In einer persönlichen Einschätzung der Höhepunkte seiner Karriere sieht Rüdiger Weigang HEIMAT an dritter Stelle hinter der BBC-Produktion „A Perfect Spy“ nach John le Carré (1986/7) und einer vom SR produzierten Serie mit Ein-Mann-Stücken.
Die fast zweistündige Gesprächsrunde erwies sich als äußerst kurzweilig und abwechslungsreich, da Rüdiger Weigang mit viel Humor und erzählerischem Talent immer wieder seine Antworten mit Anekdoten und anderen Details aus der Entstehung des Films auszuschmücken wusste. Insgesamt aber war das eigentliche Erlebnis aus meiner Sicht, den Menschen Rüdiger Weigang kennen zu lernen, und gerade deshalb erwies sich meine zuvor ersponnene Befürchtung, ihn verklärter Weise mit „Herr Simon“ anzusprechen, als hochgradig abwegig. Ein erfüllter Abend endete für mich nach der Rückfahrt mit einer freundlichen Einladung ins Weigangsche Wohnzimmer, die ich trotz vorgerückter Stunde nicht ausschlug.
Es war mir eine große Freude, in Rüdiger Weigang einen intelligenten, lebhaften, unkomplizierten, engagierten, humorvollen und ebenso direkten wie offenen Menschen kennen gelernt zu haben. Und dieses Vergnügen war, wie mir die Teilnehmer/innen des Projektes in der anschließenden Sitzung versichert haben, nicht nur meinerseits. Rüdiger Weigang hat das Projekt auf seine unnachahmliche Weise ganz maßgeblich bereichert.
Liebe Kolleg(inn)en, haben auch Sie bereits Erfahrungen mit HEIMAT in der Schule gemacht? Berichten Sie mir von Ihren Ideen, Konzepten und Erlebnissen. Sollte sich eine breitere Basis für die Entwicklung von gemeinsamen Unterrichtskonzeptionen oder weiteren Projekten ergeben so würde ich gerne mit Ihnen kooperieren.