Nach Die Reise nach Wien nähert sich Reitz mit diesem Film weiter der großen deutschen Geschichte an, „allerdings hier mit einer deutlichen Verlagerung zur filmischen Poesie. Hier ist der Samen der „Heimat“-Staffel endgültig aufgegangen. Ein Heranwachsender erlebt 1945 in einem kleinen Weiler in Sachsen sowohl die Amerikaner als auch die russischen Soldaten. Reitz definierte damals sein filmisches Geschichtskonzept: ‚Das ist das Komische. Wenn man sich erinnert, man sieht dann plötzlich, dass Leben und Sterben auf der Ebene von Kaffeetrinken läuft. Das, was wir in unseren späteren Urteilen immer lernen, dass es ein Oben und Unten in der Wichtigkeit gibt, also die großen wichtigen Ereignisse des Lebens und die, die man vergessen hat. Unsere Erinnerung hat diese Unterscheidungsfähigkeit gar nicht, erinnert sich nicht nach Wichtigkeitsgraden.'“1
Dieser Film markiert den Beginn der lange währenden Zusammenarbeit von Edgar Reitz mit Petra Kiener (Regieassistenz und Mitarbeit am Drehbuch), die Musik komponierte wieder Nikos Mamangakis.
Inhalt des Films
Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 einigen sich Präsident Roosevelt, Premier Churchill und Marschall Stalin auf die endgültigen Grenzen der 4 Besatzungszonen, in die Deutschland nach dem Krieg geteilt werden sollte. Doch der weitere Kriegsverlauf hält sich nicht an diese Vereinbarungen. So haben bei der Kapitulation am 7. Mai amerikanische Truppen Thüringen und weite Teile von Sachsen besetzt, Gebiete, die den Russen zugesprochen worden waren. Erst am 1. Juli ziehen die Amerikaner von dort wieder ab. Tage später rückt die Rote Armee nach.
Joschi (Kai Taschner ), einer der vielen tausend Jugendlichen, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges durchs Land treiben, ist auf dem Weg nach Leipzig-Möckern mitten durch die abziehenden amerikanischen Truppen. Wenn er den Nazischatz, der dort auf dem Friedhof vergraben sein soll, gefunden hat, will er auf seinem alten deutschen Militärmotorrad hinter den bewunderten Männern aus Amerika herfahren. In der Vorstadt Möckern sind die meisten Menschen aus Angst vor den Russen ins Zentrum geflüchtet. Die Übriggebliebenen, der alte Eisenbahner Mattiske (Herbert Weißbach), der im stillgelegten Stellenwerk Fahrräder repariert und Hoffnungen auf die Russen setzt, die stämmige Frau Unterstab, die eine kleine Gärtnerei betreibt und Isa (Anette Jünger ), ein Flüchtlingsmädchen aus dem Süden, bei sich aufgenommen hat, der Invalide Paul (Klaus Dierig), der trotz Erfahrungen als Soldat im Krieg nur so herumschwimmt ohne Überblick und Einsicht, der ewige Opportunist Franke (Günter Schiemann), einst Blockwart, Mitglied des Antifakomitees, schließlich Motek (Erich Kleiber), der als polnischer Zwangsarbeiter nach Deutschland kam, jetzt mit einem erbeuteten Karussell herumzieht und damit Geschäfte zu machen sucht — sie alle vertreiben sich mit Zänkereien, erinnerungsseligem Festefeiern und angespanntem Dahindösen die Zeit bis zu ihrem Tag der Zweiten Befreiung durch die Rote Armee.
Als Joschi Tage später auf eine amerikanische Militärpolizeistreife stößt, verliert er seine geliebte amerikanische Fliegerjacke, den Schmuck und Isa, seine Freundin. Allein bleibt er auf einer Landstraße zurück.2
Szenenbilder
Stunde Null ist Bestandteil der 2009 erschienenen Edition Edgar Reitz – Das Frühwerk. Über jeden der Filme in dieser Edition ist als Extra ein Gespräch mit Prof. Thomas Koebner enthalten.
1 Quelle: Jochen Kürten in einer Rezension der o. g. DVD-Ausgabe auf dw.com
2 zitiert nach www.edgar-reitz.de