Informationen rund um die HEIMAT-Trilogie von Edgar Reitz

25 Jahre HEIMAT

Bericht vom HEIMAT-Wochenende in Simmern, 31.10./1.11.2009

Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Premiere von HEIMAT zeigte das Pro-Winzkino am 31.10. und 1.11. alle 11 Filme dieses ersten Teils der Trilogie. Knapp 16 Stunden Kino verteilt auf zwei Tage – dank der bequemen neuen hochlehnigen Bestuhlung im großen Saal des Kinos kein Problem für das Sitzfleisch. Über 100 HEIMAT-Liebhaber/innen hatten sich eingefunden, um dieses Ereignis gemeinsam zu genießen und feiern. Das Team des Pro-Winzkino zeigte sich einmal mehr bestens aufgelegt und vorbereitet. „Kino mit Vollpension“ (so Wolfgang Stemann in seiner Begrüßungsansprache [2- Die Zahlen in Klammern verweisen auf ein zugeordnetes Bild der Galerie unten auf der Seite]) war angesagt, und dies Versprechen wurde auf überwältigende Art und Weise eingelöst. Die Verpflegung war hervorragend, neben der täglichen Kaffeepause gab es je eine Hauptmahlzeit, am Samstagabend ein zünftig-rustikales Buffet mit Salaten, Brot und „hunsricker Baureworscht“, am Sonntagmittag anlässlich des 77sten Geburtstags von Edgar Reitz ein Festessen im Simmerner Schloss mit Tafelspitz, Jägerschnitzel, Bratkartoffeln, Salaten, Dessert und ausgesuchten Weinen. Beim Einchecken am Samstag erhielt jeder Besucher einen Ablaufplan, der sich inhaltlich hervorragend bewährte: Niemals entstand die Notwendigkeit zu hetzen, und andererseits ergaben sich auch keine Längen, wie sollte das auch sein, ergaben sich doch in den Pausen so viele interessante Gespräche unter Gleichgesinnten. Ich selbst nutzte den Check in, um die selbstgebastelten Schlüsselanhänger an die Gäste zu verschenken [1].

Neben der HEIMAT-Gemeinde aus dem gesamten Bundesgebiet (so waren z. B. Besucher aus Hannover, München oder Lindau angereist) hatten Sich auch Familie van der Meij aus den Niederlanden und Henri Raedts aus Belgien auf den Weg nach Simmern gemacht. Zudem war eine Reihe von Menschen vertreten, die an der Entstehung von HEIMAT beteiligt war: Zuallererst natürlich Autor und Regisseur Edgar Reitz mit seiner Frau Salome Kammer, außerdem Eva Maria Schneider (die Marie-Goot), Jutta Altmeyer (die Gisela aus HEIMAT 3 und seinerzeit „Hunsrücker-Platt-Lehrerin“ von Marita Breuer [15]), sowie Marga Molz, deren Woppenrother Bauernstube wohl als Wiege der HEIMAT gelten darf. Ein besonderer Höhepunkt war am Sonntagmittag die Ankunft von Marita Breuer, in Ihrer Rolle als Maria („meine beste Arbeit“) sicher die Ikone der HEIMAT-Trilogie. Die Stimmung innerhalb der Gruppe: pure Begeisterung. Reitz und Breuer zeigten sich unheimlich gut gestimmt, offen, auskunftsfreudig und waren für jeden Gast zu sprechen. Sie nahmen sich Zeit, und viele Gespräche entwickelten sich zu wirklichen Dialogen, fernab von allen Allüren, Vorbehalten oder künstlichen Distanzen. Man spürte, wie Edgar Reitz dieses Heimspiel genoss [3], und wie gut es ihm tat, seinen Geburtstag (exakt 27 Jahre nach der letzten Klappe von HEIMAT) in diesem Kreis zu feiern. Und auch Marita Breuer, die zwischenzeitlich schon eher auf Distanz zum Projekt HEIMAT gegangen zu sein schien und solche Veranstaltungen eher selten besucht, zeigte sich beeindruckt und tief berührt. Mit ihrer offenen und warmherzigen Art eroberte sie die Herzen aller, die das Gespräch mit ihr gesucht hatten oder sie auch nur aus der Ferne beobachteten.

Nicht nur nebenbei wurde dann natürlich auch HEIMAT geguckt. Das mir bis dahin nicht zugängliche Kinoformat führte zu einer völlig neuen Entdeckung des Filmes. So viele Details, die mir auf dem Fernsehschirm verborgen geblieben waren, wurden jetzt erst offensichtlich, sei es etwa die komplexe Bildkomposition auf verschiedenen Schärfeebenen, Handlungsdetails im Hintergrund, hunderte von kleinen sechsbeinigen Nebendarstellern oder so manche bisher unentdeckte Träne. Szenen, die mir vorher eher technisch unscheinbar schienen, etwa die lange Szene in der Küche zu Beginn des ersten Films, entfalteten erst jetzt in ihrer ganzen Pracht und Tiefe und machten das Betrachten des Films zu einem ganz neuen Erlebnis atemberaubender Entdeckung und ästhetischen Hochgenusses. Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung1 sah sich Edgar Reitz von seiner Ankunft am Freitagabend an jeden der Filme mit uns an. Er sagte: „Für mich ist das Wiedersehen mit den Filmen auch etwas sehr eigenartiges. Denn bei jeder Szene kommen mir die Umstände ihrer Entstehung in Erinnerung. Es ist an jeder Szene etwas für mich unvergessliches“. So berichtete er z. B. der Streit, der sich aus seinem (schließlich realisierten) Wunsch ergab, in der Szene, in der Otto Maria unterhalb der Porta Nigra in Trier wiedersieht, eine Windmaschine einzusetzen, um die Wallung der Gefühle durch ein Naturereignis zu unterstreichen.

Im übrigen wurde in Simmern ein bisher nie gesehener „Directors-Cut“ gezeigt, geboren aus der Not heraus: Da die digitale Restaurierung von HEIMAT frühestens in zwei Jahren abgeschlossen sein wird hatten sich die Pro-Winzler entschieden, eine analoge Kopie des Filmes zu zeigen. Edgar Reitz hatte daraufhin in München seinen Bestand gesichtet und aus dem wenigen verfügbarem Material die derzeit einzige existente spielbare Kopie des Filmes hergestellt. Die Veränderungen machten sich vor allem an Beginn und Ende der einzelnen Filme bemerkbar: Vor- und Abspann fehlten meist, da die Filme, insbesondere die kürzeren, z. T. zusammengeschnitten worden waren. So kam auch Glasisch nur selten dazu, anhand seiner Fotosammlung des Geschehene zu rekapitulieren – aufgrund der dichten Abfolge nicht nötig, aber dennoch, man spürte gleich, welchen Bedeutungsverlust die Figur erfährt, wenn ihr Erscheinen auf die reine Handlungsebene reduziert wird.

Im Gespräch mit einem jungen Filmstudenten und Theaterregisseur kamen wir auf das Thema Wiederholung. Edgar Reitz erläuterte, dass die exakte Wiederholung einer Handlung selbst mithilfe des Mediums Film unmöglich sei. Zwar sei die Hardware (sei es eine DVD, Filmkopie oder Fernsehsendung) die gleiche, aber schon die unterschiedlichen Rahmenbedingungen (Ort, Zeit, Gesellschaft, technische Umsetzung, …), unter denen ein Film gesehen werde, verböten es, von objektiv gleichen Bedingungen zu sprechen. Erst recht gilt dies für die subjektiven Empfindungen des Betrachters: Je nach Verfassung und Umständen vermag uns eine Szene am einen Tag tief zu berühren, und am anderen möglicherweise nicht. Genau diese These der Unmöglichkeit der exakten Wiederholung spürten die Besucher des Kinos an diesen zwei Tagen: alle kannten die Filme, manche haben sie bereits zig-fach gesehen, und dennoch erlebte jeder von uns den Film auf ganz persönliche Weise noch einmal neu. Eine wirklich berauschende Erfahrung, die mit Worten kaum zu beschreiben ist, weil sie die Ebene der reinen sinnlichen Wahrnehmung durchdringt und uns zutiefst berührt. Aber: Der Tod Katharinas rührt mich stets zu Tränen.

Der erste Kinotag endete mit einer Überraschung: Es war etwa 0.15 Uhr am 1.11., als Teil 7 beendet war. Spontan stimmten die Pro-Winzler ein Geburtstagsständchen für Edgar Reitz an, und alle Besucher sangen mit. Anschließend gaben Salome Kammer (Gesang), Maria Reiter (Gesang, Akkordeon) (die beiden hatten schon gemeinsam in Berlin bei der Verleihung des Kulturgroschens an Edgar Reitz musiziert) gemeinsam mit Christoph Hellhake (Gesang, Notenhalter) ein bayerisches „Standerl“ und ein französisches Chanson für das Geburtstagskind zum besten [4]. Trotz blendender Stimmung vertagte man sich alles weitere betreffend auf den nächsten Morgen.

Bei unserer Ankunft am Kino gegen halb zehn wartete bereits Utz Kastenholz mit seinem Filmteam vor der Tür. Er hatte den Auftrag, für die Landesschau des SWR Rheinland-Pfalz einen Kurzbericht zu drehen. Er begleitete uns mit seinem Team den halben Tag lang, und sammelte dabei viele O-Töne (hier können Sie Auszüge aus dem Interview mit mir anhören) [5]. Kurz vor Mittag war Teil acht beendet und der Tross bewegte sich gemeinsam zum Simmerner Schloss, wo zunächst in der Ausstellung des Hunsrück-Museum ein Sektempfang zu Ehren von Edgar Reitz stattfand. Dr. Andreas Nikolay, seit Juni diesen Jahres Bürgermeister von Simmern, und der Bürgermeister der Verbandgemeinde Simmern, Manfred Faust, würdigten in kurzen Ansprachen das Werk Edgar Reitz’s und seine Verdienste für die Region [6, 7]. Nikolay überreichte ein von ihm selbst verfasstes Buch2 über den früheren Simmerner Bürgermeister Heinrich Meckel (1884-1938). In seinen Dankesworten erwähnte Reitz, dass jener Bürgermeister sogar in einem Dialog in HEIMAT erwähnt werde. Er erinnerte auch an einen Amtsnachfolger Meckels, nämlich seinen Förderer und ehemaligen Deutschlehrer am Simmerner Herzog-Johann-Gymnasium Karl Windhäuser, der ihm seinerzeit mit auf den Weg gegeben hatte: „Ich warne dich vor deinen Träumen. Denn die werden wahr werden.“

Einer der emotionalen Höhepunkte folgte dann mit der Ankunft von Marita Breuer. Wir wurden Zeugen eines äußerst herzlichen Empfangs, bei dem auch Tränen flossen [8]. In der HEIMAT-Abteilung des Museums folgte eine kurze Foto- und Interviewsession durch die zahlreich erschienen Journalisten. Anschließend begab man sich zum Festessen in das Erdgeschoss des Schlosses. Noch einmal brachten Salome Kammer und ihre Freunde zur Freude des Publikums mehrere Stücke dar. Dabei nährten sie auch Spekulationen über die Existenz eines neuen Drehbuchs: Aus dessen Sicht forderten sie Reitz musikalisch auf: „Dreh, Edgar, dreh. Ich bin schon da.“

Nach den Essen folgte für die van der Meijs, Joel und mich ein kleiner persönlicher Höhepunkt in Form der Übergabe unseres Geschenks an Edgar Reitz: Theresia hatte einen originell verpackten holländischen Käse mitgebracht. Reitz zeigte sich hoch erfreut und gemeinsam mit ihm und Marita Breuer entstand ein langes, herzliches Gespräch [9]. Mit fast drei Stunden war diese Pause keine Minute zu lang angesetzt. Gut gestärkt fand man sich gegen 14.30 Uhr wieder im Kinosaal ein. „Hermännchen“, der längste Film, stand auf dem Programm. Die Kopie dieses Films wies übrigens die deutlichsten Abnutzungserscheinungen auf, Reitz bestätigte mir später, dass dieser Film auch des Öfteren einzeln gezeigt worden war, z. B. einst beim Filmfestival von Lugano am Lago Maggiore.

In der anschließenden Kaffeepause stand eine weitere Überraschung an: Das Pro-Winzkino-Team hatte eine riesige Geburtstagstorte mit Illustrationen aus den Filmen anfertigen lassen, die Edgar Reitz feierlich anschneiden durfte [10, 11]. Als Geschenk erhielt er aus den Händen von Jürgen Prinz ein Original des Plakates zu „Der Schneider von Ulm“ – es hatte bislang in seiner Sammlung gefehlt [12]. Die Teile 10 und 11 wurden anschließend en block gezeigt, doch auch am Ende des Marathons schien niemand genug zu haben. Nach minutenlangem herzlichen Applaus trat Edgar Reitz vor sein Publikum [13]. „Ich muss jetzt etwas sagen, gell?“ zitierte er zutiefst gerührt seine Hauptfigur, und gab noch einige Details über die Dreharbeiten preis, so etwa von der Abschlussfeier der Dreharbeiten im Woppenrother Tanzsaal, dessen Boden aufgrund des ausgelassenen Tanzes des Teams regelrecht ins Schwingen geriet.

Der Abend endete mit einem Ausklang in der Familien-Bildungsstätte. Die Pro-Winzler hatten die Reste der Buffets der zwei Tage liebevoll drapiert, sodass niemand hungrig nach Hause gehen musste, und wer so wie ich eine länger Fahrt vor sich hatte, konnte sich noch ein wenig Wegzehrung zubereiten. Edgar Reitz und Marita Breuer signierten bereitwillig Eintrittskarten, mitgebrachte Bücher und Poster [14]. Der Abschied untereinander und von den Hauptpersonen fiel sehr herzlich aus, und die letzten verweilten bis nach Mitternacht.

Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung zum Abschluss: Ich habe inzwischen vieles in Sachen HEIMAT erlebt, aber dieses Wochenende stellt wohl bisher das absolute Highlight dar. Herzlichen Dank an das Team des Pro-Winzkino Simmern, das durch sein unermüdliches Engagement für Edgar Reitz und sein Werk (demnächst wird z. B. die restaurierte Fassung der „Die Reise nach Wien“ zu sehen sein) dieses Erlebnis überhaupt möglich und zu einem unvergesslichen Erlebnis machte.

Thomas Hönemann, 7.11.2009

Galerie – herzlichen Dank an Günter Endres und Hansdieter Gehres für die Bereitstellung ihrer Bilder.

1 Zitat aus einem Interview mit ER, abgedruckt in der RHZ am 23.10.2009: P. Kunz: „Sehen Sie sich selbst die Heimat Aufführung an?“ ER: „Ich würde mich nur ärgern, wenn Kopien nicht hundertprozentig sauber sind oder über andere Dinge. Da gehe ich lieber essen, rede aber anschließend gerne mit Leuten, die den Film gesehen haben. Sie kommen und reagieren auf den Film – das ist schön.“
2 Dr. Andreas Nikolay, Der Bürgermeister Heinrich Meckel (1884-1938) = Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Simmern, Band 1. Simmern 2005. ISBN 3-9810654-0-9